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Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Titel: Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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daß diese Verhandlung schmerzhafte und unausweichliche Erinnerungen an das letzte Mal wecken würde, als er hier draußen gestanden und sein Urteil gesprochen hatte.
    Das Gesicht von Iscalda, seiner früheren Verlobten, hatte sich in das Gedächtnis des Rudelfürsten eingebrannt. Bleich und mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen hatte sie vor ihm gestanden, und ihr flachsblondes Haar, das unter den Xandim etwas sehr Ungewöhnliches und einst ihr ganzer Stolz gewesen war, hatte ihr in wirren Strähnen übers Gesicht gehangen, als sie ihm an diesem Ort entgegengetreten war. Ihr Gesicht war eine steinerne Maske des Trotzes gewesen, als sie den Mann zurückwies, der ihren geliebten Bruder zur Verbannung verurteilt hatte. Phalias stieß einen kleinen, ärgerlichen Laut aus, ein leises Knurren, das tief aus seiner Kehle kam, als er an den Mann dachte, der seine geliebte Iscalda ins Verderben gerissen hatte. Schiannath! dachte er. Wenn ich ihn doch nur getötet hätte, als ich die Gelegenheit dazu hatte!
    Aber das Gesetz der Xandim bestimmte, daß nur Fremde hingerichtet werden durften. Die einzige Gelegenheit, bei der die Xandim einander töten konnten, war der Ritus der Herausforderung, in dem es um die Führung des Stammes ging – und Schiannath hatte sich diesem Kampf bereits unterzogen. Obwohl er verloren hatte, hatte er ihn überlebt, und dem Gesetz nach konnte die Herausforderung nicht wiederholt werden. Schiannath hatte seine Niederlage jedoch nicht mit Würde hingenommen. Er war ein stets Unzufriedener, ein Störenfried, und hatte versucht, die Autorität des Rudelführers in jeder Weise zu unterwandern. Der Stamm hatte darunter zu leiden gehabt. Zwar war die Verbannung die einzige Möglichkeit für den Rudelführer gewesen, die Ordnung wiederherzustellen, aber es schnürte Phalias die Kehle zu, daß der Missetäter noch immer irgendwo zwischen diesen pfadlosen Bergen leben konnte. Und Iscalda – war sie auch noch am Leben? Konnte sie sich noch an irgend etwas aus ihrer menschlichen Existenz erinnern? War sie an der Kälte gestorben oder von Wölfen gefressen worden, oder hatten die schwarzen Geister sie geholt, die die Berge heimsuchten? War nichts mehr übrig von ihr bis auf einen kleinen Haufen abgenagter Knochen irgendwo am Fuße eines Felsvorsprungs?
    Mit einem gemurmelten Fluch versuchte der Rudelfürst, die schrecklichen Visionen zu verscheuchen. Was spielte es für eine Rolle, ob seine frühere Verlobte noch lebte oder schon tot war? Sie hatte ihn zurückgewiesen. Aber seit jenem Tag, als er sich in seinem Schmerz und seinem Zorn dazu hatte hinreißen lassen, sie zu einem Leben als Tier zu verdammen, wurde er von Schuldgefühlen und bitterer Reue heimgesucht. »Die Wahrheit ist«, seufzte Phalias bei sich, »daß ich, wenn es mir möglich wäre, ungeschehen machen würde, was ich an jenem Tag getan habe. Aber es darf niemals sein.«
    Aus dem brodelnden Zorn des Sturms heraus schob die Sonne langsam ihre Krone über die gezackten Berge, und der Tag kroch auf schleichenden Füßen herbei, um das Plateau mit einem schwachen, geisterhaften Halblicht zu überziehen. Inzwischen wurden die Fremden herangeführt; gefesselt und verzweifelt gingen sie zwischen ihren Wachen.
    Phalias, der froh darüber war, von seinen schwarzen Gedanken abgelenkt zu werden, sah zu, wie die Fremdländer vor ihm zu Boden geworfen und gezwungen wurden, auf dem eisenharten Grund niederzuknien. Es war eine seltsame Gruppe – der drahtige, kleine Mann, dessen ganze Haltung Trotz widerspiegelte; das hochgewachsene, blonde Kriegermädchen, dessen üppiger Körper ungezählte Freuden verhieß, dessen Augen jedoch kalt und hart wie eine gezückte Klinge waren; der alte Mann, der, wenn der Rudelführer sich nicht irrte, todkrank war und hohes Fieber hatte; und dann die andere, die knochige Frau mit den wahnsinnigen, hellseherischen Augen. Allein ein einziger Blick auf sie reichte aus, um dem Rudelfürsten einen Schauer über den Rücken zu jagen. Er riß seine Augen von ihr los und zwang sich zu sprechen, wobei er sich bei seiner Urteilsverkündung beinahe überschlug, so eilig hatte er es, ihrem unnachgiebigen, brennenden Blick zu entgehen.
    »Ihr seid hier, um euch der Anklage des unerlaubten Eindringens in das Land der Xandim zu stellen«, sagte er zu ihnen und überlegte, während er sprach, ob er nicht dieses verflixte Windauge hätte herbeizitieren sollen, damit er seine Worte den Gefangenen übersetzte. Um die Wahrheit zu sagen,

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