Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
Rückweg möglichst unsichtbar zu bleiben und schlug einen weiten Bogen um die halb verhungerten Gestalten, denen er begegnete. Als Tilda noch lebte, hatte er gerüchteweise von Banden gehört, die sich in der Verkleidung von Bettlern auf den Straßen herumtrieben, um auf diese Weise ihren Opfern möglichst nahe zu kommen.
Trotz der nicht unerheblichen Gefahren hatten diese späten Stunden jedoch auch ihre Vorteile, denn nun öffneten sich nach und nach die Türen der Tavernen, und ihre Kundschaft ergoß sich auf die Straßen. Mit etwas Glück würde Grince auf seinem Heimweg einer ganzen Anzahl von Trunkenbolden begegnen – und ein betrunkener, unvorsichtiger Mann, der nichts anderes im Sinn hatte als nach Hause zu kommen, war für einen jungen Taschendieb, der gerade erst sein Gewerbe erlernte, eine viel leichtere Beute als ein wachsamer und nüchterner Mann. Unglücklicherweise schien sich das Blatt für Grince an diesem Abend jedoch gewendet zu haben: Er hatte Pech. Die verarmten Stadtbewohner waren mittlerweile so verzweifelt, daß es sie des Nachts in Scharen auf die Straßen trieb – in der Hoffnung, ihren etwas glücklicheren Mitmenschen, die überhaupt noch etwas – irgend etwas – besaßen, die letzte Habe aus der Tasche zu stehlen. Außerdem waren die Leute jetzt vorsichtiger und neigten dazu, sich zu ihrem eigenen Schutz mit anderen zusammenzutun – und wann immer sich eine vielversprechende Möglichkeit bot, war die Konkurrenz durch gut bewaffnete Schufte größer, als einem kleinen Jungen lieb sein konnte. Mehrfach erspähte Grince ein mögliches Opfer, nur um auf der Stelle ausgebootet zu werden – für gewöhnlich von bewaffneten Räubern, die es nicht bei einem bloßen Diebstahl bewenden ließen, sondern Mord im Sinn hatten.
Mit einigermaßen gemischten Gefühlen beschloß Grince, die Sache für diese Nacht aufzugeben. Schließlich war seine Sicherheit wichtiger als ein paar Kupferpfennige in einer Lederbörse. Er hatte eine Verantwortung zu tragen. Der Gedanke an das, was seinem Hund zustoßen konnte, wenn er, sein Beschützer, auf der Straße getötet wurde, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Die bloße Vorstellung, wie der arme Krieger, eingesperrt in sein Körbchen, langsam zu Tode hungerte, reichte, um den Jungen zu größter Vorsicht zu mahnen. Deswegen hatte ihm das weiße Hündchen auch, obwohl er sich dieser Tatsache nicht bewußt war, schon mehrfach das Leben gerettet.
Grince freute sich bereits auf das Wiedersehen mit seinen kleinen Kameraden. Krieger hatte sich, genau wie sein Herr, in seinem kurzen Leben früh daran gewöhnt, alle möglichen Dinge zu essen. Die Fleischpastete würde ein wahrer Schmaus für ihn sein, und danach konnten sie beide sich zusammen in das warme, gemütliche Bett kuscheln, ohne sich vor den Gewalttätigkeiten auf der Straße fürchten zu müssen. Dieser glückliche Gedanke gab Grinces Schritten neuen Schwung, während er seinem Heim entgegenlief. Da ihm alle Abkürzungen bestens vertraut waren, brauchte er nur wenig Zeit, um durch das Gewirr von Gassen zur großen Arkade zurückzufinden. Dort verlangsamte Grince den Schritt und wurde vorsichtiger, denn er wußte, daß ihm nun der gefährlichste Teil seiner Reise bevorstand. Er mußte genau aufpassen, daß niemand sah, wie er sich der Arkade näherte oder später durch das Fenster schlüpfte – sonst war das Geheimnis seines Verstecks im Nu heraus.
Jetzt stand ihm noch eine letzte, breitere Straße bevor, die er überqueren mußte, dann konnte er in dem schmalen Durchgang verschwinden, der direkt zu seinem Heim führte. Hier mußte er besonders vorsichtig sein – der Durchgang war für gewöhnlich ein bevorzugter Schlupfwinkel von Bettlern. Plötzlich hörte er hinter sich das Geräusch von Schritten, die sich ihm leise, aber energisch von der anderen Straßenseite näherten. Wie ein Kaninchen, das den Jäger wittert, blieb Grince wie angewurzelt stehen und preßte sich flach an die kalte, feuchte Wand. In der Ferne erspähte er eine hochgewachsene Gestalt, die in einem weiten mitternachtsschwarzen Kapuzenmantel verborgen war – und doch hatte diese Gestalt etwas an sich, das den kleinen Jungen schaudern ließ und ihn weiter in den Schatten hineintrieb, damit der Blick dieser finsteren, furchterregenden Erscheinung nur ja nicht in seine Richtung fiel und ihn durchbohrte.
Oh, werd endlich erwachsen, Grince, befahl er sich mit vernichtender Abscheu, während die Gestalt immer näher kam. Es
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