Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
plagten Gewissensbisse. Sie wußte sehr wohl, daß sie keinen einzigen dieser Männer zu Pendral hätte zurückkehren lassen dürfen. Sie würden ihm brühwarm erzählen, daß die Magusch wieder in der Stadt waren. In ihrem Kopf überschlugen sich die verschiedenen Lösungen für dieses Problem.
Ein Dutzend Soldaten, zwei große Hunde und ihre Führer – es waren zu viele, um sich im Falle eines Angriffs wirklich eines Erfolges sicher sein zu können. Mit Forral und den großen Katzen an ihrer Seite hatte Aurian, was den Ausgang des Kampfes betraf, kaum Zweifel, aber sie wußte, daß sie trotzdem ein gewisses Risiko eingehen würde. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie, Aurian, oder einer ihrer Kameraden schwere Verletzungen davontragen würden, war hoch – und am Ende gab es keine Garantie dafür, daß nicht einige der Feinde doch aus den Katakomben entkommen konnten.
Die Magusch wußte, daß sie den Todesgeist, von dem Finbarr besessen war, auf die Soldaten hätte loslassen können – aber vor dieser entsetzlichen Möglichkeit schreckte sie zurück. Es wäre auch möglich, die Männer aus der Zeit zu nehmen – sie konnte sich jedoch nicht mit allen gleichzeitig beschäftigen, und bevor sie mehr als eine Handvoll Soldaten überwältigt hätte, würde sich der Rest gegen sie wenden. Außerdem bestand auch dann noch die Möglichkeit, daß ihnen einer oder mehrere der Männer entkamen – und kein einziger durfte nach Nexis zurückkehren.
Also blieb ihr nur eine Möglichkeit – böse, finster und grauenhaft. Sie wußte, daß sie dafür einen hohen Preis würde zahlen müssen – aber was blieb ihr anderes übrig? Ich habe keine Wahl, dachte Aurian verzweifelt. Und sie würde schnell handeln müssen – es blieb ihr weder Zeit für Diskussionen noch für die Frage, welche Konsequenzen ihre Tat haben konnte. Sie nahm den Stab der Erde aus ihrem Gürtel, umfaßte ihn mit beiden Händen und rief, wie sie es so viele Male schon getan hatte, seine Mächte zu sich. Ihre Gedanken wanderten hinaus in das Labyrinth und suchten zwischen den gewundenen, miteinander verwobenen Tunneln die flüchtenden Soldaten. Als sie sie fand, stemmte die Magusch ihren ganzen Willen gegen das Felsengestein der Decke über ihnen und fand eine Schwachstelle in der Struktur des Steins. Ein winziger Riß genügte ihr, dann ließ sie die feinen Fäden ihrer Zauberkraft in den Felsen dringen und schlug mit der ganzen Kraft des Stabes zu.
Forral hörte das ferne Dröhnen und spürte dann die leichte Vibration, mit der die Erde unter seinen Füßen erbebte. »Was zum …?« Dann sank Aurian neben ihm zu Boden. Er brauchte nur einen einzigen Blick in ihr unglückliches Gesicht zu werfen und wußte sofort, was sie getan hatte.
Entsetzen packte ihn – Entsetzen und absolute Ungläubigkeit. Sie würde so etwas niemals tun – nicht seine Aurian. Sie war gar nicht in der Lage, ihre Magie zu benutzen, um ein Dutzend Männer kaltblütig zu ermorden … Aber sie hatte es getan. All diese Männer, einfache Soldaten wie er selbst, die nur Befehle ausgeführt hatten, lagen jetzt tot und begraben unter Tonnen von Gestein. Nicht in einem fairen Kampf getötet, sondern aus sicherer Entfernung mit Hilfe böser Magie.
Aurian lag wie ein Häufchen Elend auf dem Boden. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, als wolle sie sich vor ihrem eigenen grauenhaften Werk verstecken. Ihr Atem ging in ungleichmäßigen, schluchzenden Stößen, die wie ein Würgen klangen. Forral blickte auf sie hinab; seine Gefühle waren eine übelkeitserregende Mischung aus Abscheu und eisigem Zorn. Er konnte die Veränderung des jungen Mädchens, das er einst geliebt und gekannt hatte, weder glauben noch akzeptieren.
»Wie konntest du nur«, sagte er leise. »Wie konntest du nur.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und wandte sich von ihr ab.
13
Der Wirt des ›Einhorns‹
Nach einer schlaflosen Nacht ließ Jarvas, der sich mittlerweile ernsthaft Sorgen machte, sein Asyl am Kai in Benziorns Obhut und machte sich auf die Suche nach Grince. Der junge Dieb war in der vergangenen Nacht nicht nach Hause gekommen, und Jarvas befürchtete das Schlimmste. Er allein hatte gewußt, was Grince vorhatte – und er machte sich Vorwürfe, daß es ihm nicht gelungen war, dem Jungen solchen Wahnsinn auszureden. Er hätte ihn ohnmächtig schlagen oder einsperren sollen – selbst wenn Grince ihm die verpaßte Gelegenheit nie verziehen hätte, wäre das immer noch besser
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