Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Parric den Schiffskapitän an. »Das kann doch nicht die Xandimküste sein – wir können unmöglich schon angekommen sein. Du verfluchter Idiot! Du bist in die falsche Richtung gefahren!«
Jeskin riß sich aus Parrics wütender Umklammerung los und spuckte aus. »Ich habe nie ein Wort davon gesagt, daß ich nach Süden fahren wolle«, erwiderte er aufsässig. »Diese Leute haben schon genug Probleme, ohne daß ich sie zu einer drei- oder viertägigen Reise in fremde Gefilde zerre. Das da drüben ist Osthafen, Kamerad – und genau da fahre ich hin. Viele Leute haben Familie und Freunde im Dorf – ich selbst habe eine Nichte dort –, und die werden uns aufnehmen. Wir werden uns an ihre Gepflogenheiten anpassen und Handwerker und Fischer werden – und wer will behaupten, daß wir jemals Nachtfahrer waren? Jedenfalls nicht die Leute aus Osthafen. Sie haben mit allem, was jemals aus Nexis kam, nichts am Hut – und für mich sieht es so aus, als hätten sie da mehr Verstand als einige Leute, auf die ich mit dem Finger zeigen könnte.« Er spuckte abermals aus und funkelte den wie vom Donner gerührten Kavalleriehauptmann trotzig an. »Wenn du nach Süden willst, Kamerad, mußt du dir jemand anderes suchen, der dich hinbringt – und ich wünsche dir viel Glück.«
Plötzlich hielt Parric ein Messer in der Hand und richtete es auf Jeskins üppigen Bauch. »Wende dieses verfluchte Boot – sofort!« brüllte er.
Jeskin blickte mit unveränderter Miene auf das Messer hinab. »Nein«, sagte er ruhig. »Und wenn du dieses Ding zwischen meine Rippen bohrst, wird es genug andere hier geben, die uns nach Osthafen bringen – natürlich erst nachdem sie dich gehängt und deinen Körper ins Meer geworfen haben.« Dann wandte er den Kopf um und spuckte ein drittes Mal aus, diesmal direkt vor Parrics Stiefel. »Und das hier ist ein Schiff«, fügte er hinzu, »kein Boot.«
Mit einem üblen Fluch steckte Parric das Messer weg. Er war geschlagen, und er wußte es. Es war ein dummer Zufall gewesen, daß er während des Kampfes von den anderen getrennt wurde und auf dem falschen Schiff landetet, und jetzt ließ sich daran absolut nichts mehr ändern – er konnte lediglich nach Nexis zurückkehren und diesen Bastard Pendral, die Ursache für all diese Schwierigkeiten, ein für allemal aus dem Weg schaffen. Für Aurian würde das vielleicht nicht viel ändern, aber zumindest für die Nexianer würde sich die Situation erheblich bessern, was wiederum zu seinem, Parrics, Wohlbehagen beitragen mochte.
26
Der Berg des Blinden Gottes
Zwei Tage später näherte sich die Nachtfalke mit ihrer Schar kleinerer Boote im Schlepptau der Küste der Xandim. Als die dunklen Umrisse am Horizont auftauchten, erhob sich gedämpfter Jubel. Die achtunddreißig überlebenden Nachtfahrer waren froh, daß zumindest ihre furchtbare Reise ein Ende genommen hatte. Die letzten Tage waren für keinen von ihnen angenehm gewesen. Obwohl man nach Yanis’ Seemannsbegräbnis den Frachtraum geschrubbt hatte und die Flüchtlinge dort Zuflucht vor den Elementen fanden, war der Raum unter Deck doch nicht als menschliche Behausung geschaffen. Die Unterkünfte waren kalt, feucht, eng und lärmend; das Essen war rar gewesen und das Wasser streng rationiert. Aurians heilende Kräfte waren wieder und wieder gefordert gewesen, und nur ihr war zu verdanken, daß sie nicht noch mehr Menschenleben verloren hatten.
Verglichen mit den grauenvollen Erlebnissen, die sie hinter sich hatten, war der Gedanke an die südlichen Länder für die Nachtfahrer kaum noch erschreckend. Nach Yanis’ erster Reise zu den südlichen Siedlungen vor etwa zehn Jahren – damals hatte er Aurian und ihre Gefährten dort aufgelesen – hatten die Xandim und die Schmuggler eine erfolgreiche Handelspartnerschaft aufgebaut, die im Laufe der Zeit zu Freundschaft geworden war. Tarnal wußte, daß seine Leute, auch wenn sie als Bittsteller kamen, dem Pferdevolk wertvolle Fähigkeiten und Kenntnisse anzubieten hatten; vor allem verstanden sie sich darauf, die schnellen und stabilen Nachtfahrerschiffe zu bauen, an denen die Xandim überaus interessiert waren.
Für Aurian und ihre Freunde sahen die Dinge jedoch ganz anders aus. Sie hatten vor ungefähr zehn Jahren über hundert Xandim dazu verlockt, ihr Heim zu verlassen, und schließlich in einem fremden Land in die Sklaverei geführt. Das Willkommen, das ihnen diesmal bevorstand, mochte um ein Gutteil wärmer sein, als ihnen lieb war. Die
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