Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Pferde zurückgelassen hatte – aber gegen die fliegenden Phaerie-Rosse vermochte sie nichts auszurichten. Bevor Aurian auch nur in ihre Nähe kommen konnte, sah sie Maya wild fluchend und hilflos in der eisernen Umklammerung eines Phaerie-Kriegers, der sie über den Widerrist seines Pferdes geworfen hatte und sie nun durch die Luft entführte. Chiamh und Schiannath folgten ihr; beide Pferde waren grausam mit brennendem Licht aufgezäumt und wurden von einem der helläugigen Männer Hellorins geritten.
Als der wilde Wind endlich wieder abflaute, legten sich auch die Blätter und der Staub, und der Himmel war wieder leer.
Einen Augenblick lang stand Aurian wie angewurzelt da und schleuderte Rüche gen Himmel. Dann sackte sie zu Boden, als hätte sie auch den letzten Funken Kraft verloren, und schlug die Hände vors Gesicht. Shia tauschte einen besorgten Blick mit Khanu und drang dann zaghaft in die Gedanken ihrer Freundin ein, konnte dort jedoch nichts als Leere ausmachen.
Nach einer Weile bückte Aurian wieder auf. Ihre Augen glitzerten wie frostüberhauchtes Eisen, und sie knirschte mit den Zähnen. »Sie werden mich nicht besiegen«, murmelte sie grimmig. »Und wenn sie mir alles nähmen, was mir lieb und teuer ist, auch dann werde ich mich nicht von ihnen besiegen lassen.« Sie schlang die Arme um Shia. »Wir werden unsere Freunde zurückbekommen, einen jeden einzelnen von ihnen – ich schwöre es. Irgendwie werde ich sie alle zurückholen – und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
»Du hast immer noch Khanu und mich«, sagte Shia zu ihr, »und jeder, der versucht, uns von dir zu trennen, wird schnell feststellen, daß er einen schweren Fehler begangen hat! Aber wohin sollen wir uns jetzt wenden, meine Freundin? Was tun wir als nächstes?«
»Nun, die Phaerie können wir im Augenblick noch nicht verfolgen – ich wüßte nicht, wo ich da anfangen sollte«, seufzte Aurian. »Wir werden die Dinge immer schön nacheinander angehen, wie Forral zu sagen pflegte. Zuerst werde ich etwas von dem Fleisch essen, und dann werde ich mich dazu zwingen, es bei mir zu behalten. Ich glaube, wir sollten uns bis zum Einbruch der Nacht ausruhen – dann gehen wir durchs Tal zur Akademie. Vielleicht finden wir dort ein paar Antworten.«
»Wenn du schlafen willst«, sagte Shia, »werden Khanu und ich dich bewachen.«
»Im Augenblick«, sagte die Magusch trostlos, »habe ich das Gefühl, als würde ich nie wieder schlafen.«
8
Ein Dieb in der Nacht
Da die Stadt diesmal von dem Angriff der Phaerie wie durch ein Wunder vollkommen verschont geblieben war, sah Lord Pendral keinen Grund, sein Fest aufzuschieben – was Grince zutiefst erleichterte. Jetzt konnte er den größten Diebstahl seiner Laufbahn wie geplant angehen. Lautlos wie ein Schatten schlich sich der Dieb durch einen verlassenen Korridor im oberen Stockwerk von Lord Pendrals Villa. Er war den Wachen, die beide Treppenhäuser im Auge behielten, entgangen, indem er durch einen der großen Kamine eingedrungen war – eine Route, die normalerweise nur von den mageren Lumpenkindern benutzt wurde, die man dort hinaufschickte, um sich durch das verwirrende Labyrinth der Rauchfänge zu zwängen und den Ruß wegzukehren. Ein Lächeln trat auf die Züge des jungen Diebes. Sein Leben lang war es ihm von beträchtlichem Vorteil gewesen, klein und unterernährt zu sein.
Es war noch früh am Abend – weit entfernt von der Stunde, zu der Grince normalerweise diese Art von Arbeit begann. Gerade erst zog die Dämmerung herauf, aber die Gärten, die das große Haus umgaben, wurden von Fackeln und Laternen beleuchtet. Das Geräusch von Gelächter und ungezählten Stimmen wehte durch ein Fenster im zweiten Stock zu dem Dieb herauf, und mit ihm kam der köstliche Duft von gebratenem Fleisch, das ihm seinen knurrenden Magen schmerzlich in Erinnerung rief. Ein träger Strom von Kutschen erstreckte sich über die ganze geschotterte Einfahrt, und jede dieser Kutschen machte irgendwann auf dem kreisförmigen Vorplatz des Hauses halt, um ihre kostbar gewandeten Passagiere aussteigen zu lassen. Dann fuhr sie wie alle anderen zum Stallhof hinterm Haus, denn heute abend gab Lord Pendral für die anderen Mitglieder der Kaufmannsgilde ein großes Fest.
Für Grince war das Bankett eine von den Göttern gesandte Gelegenheit. Zu jeder anderen Zeit waren die Ländereien des Hohen Herrn von Nexis sorgfältiger bewacht als die Ehre einer Jungfrau. Nach dem Attentat, dem Pendral im
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