Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Aurian war ebenfalls ihre Freundin, und sie hätte es der Magusch nicht mißgönnt, wenn sie mit Anvar glücklich geworden wäre – wenn Anvar nur gefunden werden konnte. Und wir sollten ihr bei der Suche nach ihm helfen, dachte Maya. Stirnrunzelnd drehte sie sich zu D’arvan um. »Meinst du nicht, einer von uns sollte Aurian nachgehen? Wir dürfen sie gerade jetzt nicht allein ihren Grübeleien überlassen.«
»Ich glaube nicht, daß Aurian wirklich grübelt – außerdem ist Shia ihr schon nachgegangen.« D’arvan zeigte auf den verwaisten Platz auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers. Die Kriegerin hob eine Augenbraue und schüttelte dann kläglich den Kopf. »Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Nicht nur, daß diese Geschöpfe so furchterregend wirken – mir macht auch die Vorstellung zu schaffen, daß ihr beide, du und Aurian, mit ihnen reden könnt, als wären es ganz normale Leute.« Sehr zu Mayas Überraschung war es Shia gewesen, die ihnen ein Gutteil Informationen über den Verlauf von Aurians Abenteuern gegeben hatte, während die Magusch selbst schlief. D’arvan grinste. »Von ihrem Standpunkt aus betrachtet, sind sie ganz normale Leute, Liebes. Shia steht Aurian so nahe wie wir – wahrscheinlich sogar näher.«
Maya schnitt eine Grimasse. »Vielleicht bin ich ja nur eifersüchtig. Ich wünschte, ich könnte so mit Shia reden wie du.«
»Das wünschte ich auch.« D’arvan lächelte. »Ich glaube, ihr beide würdet sehr gut miteinander auskommen. Ihr habt sehr viel gemeinsam – und wenn du darüber nachdenkst, ist das Ganze nicht merkwürdiger als die Tatsache, daß diese beiden Pferde da drüben früher Menschen waren.«
Die Kriegerin riß die Augen auf. »Erzähl mir jetzt bloß nicht, daß du mit denen auch reden kannst!«
D’arvans Gesichtsausdruck wurde sofort wieder ernst. »Ich wünschte, ich könnte es. Aber nicht mal Aurian kann in ihre Gedanken eindringen, um die Menschen zu finden, die sie einmal waren. Wenn es uns nicht gelingt, meinen Vater dazu zu überreden, sie zurückzuverwandeln, sind Chiamh und Schiannath – genauso wie die anderen Xandim – so gut wie tot.«
Der trostlose Klang seiner Stimme ließ Maya schaudern. »Und du nimmst Hellorin das, was er getan hat, sehr übel«, fügte sie mit instinktiver Sicherheit hinzu.
»Natürlich tue ich das!« D’arvan schlug ohnmächtig mit der Faust auf den Boden. »Wie konnte er nur so etwas Grausames tun! Ich – ich habe ihn geliebt, Maya, trotz der schwierigen Dinge, die er von uns verlangt hat, und trotz der Einsamkeit und der Gefahr, der er uns ausgesetzt hat. Aber mit seinem Verrat an den Xandim hat er auch mich verraten.«
»Alle Legenden warnen uns davor, daß die Phaerie durchtriebene Wesen sind«, murmelte die Kriegerin.
D’arvan knirschte mit den Zähnen. »Dann muß ich eben meinem Erbe gerecht werden – und genauso durchtrieben sein wie mein Vater. Denn ich verspreche dir, Maya – auf die eine oder andere Weise werde ich meinen Vater, den Waldfürsten, dazu zwingen, die Xandim wieder zu dem zu machen, was sie waren.«
Maya lächelte ihn an und begrub den leichten Schauer der Angst, der sie durchlief, in einer Woge des Stolzes. »Das dachte ich mir schon«, entgegnete sie leise. »Aber zuerst sollten wir es auch Aurian sagen. Vielleicht tröstet sie der Gedanke, daß die Xandim gerettet werden können.« Sie zwinkerte verschmitzt. »Was möchtest du lieber machen? Dich um die Kaninchen kümmern oder nach Aurian suchen?«
»Uh!« D’arvan schauderte. »Du weißt, wieviel wir Magusch vom Kochen verstehen. Wenn du überhaupt irgendwas zum Frühstück willst, sollte ich besser nach Aurian suchen.«
Während Aurian durch den nebelverhangenen Wald schlenderte, hielt ein Frösteln ihr Herz umklammert, das dem strahlenden Sommertag nicht entsprach. Wieviel Zeit war vergangen? Monate? Jahre? Jahrhunderte? Was war aus Yazour und Parric geworden, aus Vannor und Zanna? Waren alle die Menschen, die sie gekannt und geliebt hatte, jetzt tot und zu Staub zerfallen? Und was war mit Wolf? Sie hatte ihn um seiner Sicherheit willen bei den Schmugglern zurückgelassen, aber was war den Nachtfahrern widerfahren, seit sie, Aurian, die Welt verlassen hatte? Was war aus ihrem Sohn geworden? Hatte sie auch ihn im Stich gelassen? Hätte sie ihn, bevor sie sich auf die Suche nach dem Schwert machte, im Süden großziehen sollen? Wenigstens bis er alt genug war, um auf sich selbst achtzugeben?
Mit blinden Augen lief
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