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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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ist eine Art Einschnitt oder Spalte, die trocken und griffig aussieht ...«
    Er nahm ihr die Lampe aus der Hand, richtete ihren Lichtkegel auf die bezeichnete Stelle und sah eine tiefe Verschneidung, die steil abwärts führte. Sie schien die einzige, wenn auch schwierige Möglichkeit zum Abstieg zu bieten. Er nickte ihr zu, und Mischa ließ sich nach einem unschwierigen Quergang von wenigen Metern in die Verschneidung hinunter, mit Fingerspitzen und Zehen nach geeigneten Griffen und Tritten fühlend. Er zog seine Jacke aus, um beweglicher zu sein, und warf sie hinunter. Nach der Zeit, die sie brauchte, um unten anzukommen, schätzte er die Höhe auf fünfzehn Meter. Er hängte sich die Lampe an den Gürtel und folgte Mischa.
    »Nach unten zu wird es enger«, sagte sie.
    »Es ist schon jetzt eng.« Die Verschneidung lief trichterförmig zu und erlaubte nur im obersten Abschnitt ein Abstützen des Körpers mit gespreizten Beinen; danach boten die kleinteiligen Griffe und Tritte spärlichen Halt. Weiter unten verengte sie sich zu einem tiefen, feuchten Riß, in den er Schultern und Arme klemmte, um Halt zu finden. Drei Meter über dem Höhlenboden brach ein Griff unter seinen Fingern aus, und er landete in einem Schauer von kleinen Gesteinsbrocken.
    »Alles in Ordnung?«
    »Nichts gebrochen.« Er schnaufte vom überstandenen Schrecken, hob seine Jacke auf und leuchtete umher.
    Sie waren in einem steinernen Wald aus alten, mächtigen Stalagmiten, die über ihnen aufragten, manche isoliert, manche so nahe beisammen, daß sie doppelte oder dreifache Spitzen oder freistehende Wände bildeten, ein Labyrinth aus Säulen und Wandstücken, das an die Reste einer längst vergessenen unterirdischen Stadt gemahnte.
    »Eine so große Höhle muß einen weiteren Ausgang haben.« »Ich hoffe es«, sagte Mischa.
     
    Die Höhlenwand nahm einen bogenförmigen Verlauf und war ohne Öffnungen, die als Fluchtroute geeignet gewesen wären. Die Jäger hinter ihnen, einstweilen aufgehalten, wie er hoffte, machten ihn nicht blind für die Schönheit ringsum. Die Stalagmiten schienen sich wie belebte, körperlose Finger um ihn zu bewegen, ganzen Händen gleich, die sich ausstreckten und gestikulierten, wenn der Lichtschein über ihre Spitzen ging und die Basen im Dunkeln getaucht ließ. Sie erinnerten ihn an die Grat-zacken einer Gebirgskette, die man vom Landhaus seines Vaters aus sehen konnte und die sich gelegentlich in den Wolken versteckten oder nach Regentagen, wenn Nebelbänke in den Tälern lagen, wie mahnend erhobene Finger auf dem wattigen Grauweiß zu schweben schienen.
    Vor einer von Wasserrinnen durchzogenen steilen Felsplatte machten sie halt. »Wenn wir hinüber könnten ....«
    »Willst du es versuchen?«
    Er leistete ihr Hilfestellung, aber sie konnte, obwohl sie auf seine Schultern stieg, den oberen Rand der Platte nicht erreichen. Sie waren nun gezwungen, die Richtung zur Mitte des Labyrinths hin zu ändern. In ihrem Versuch, das Hindernis zu umgehen, stießen sie auf weitere, die sie zu neuerlichen Richtungsänderungen zwangen, bis sie nach und nach jedes Orientierungsgefühl verloren. Sie bewegten sich durch abschüssige Rinnen und gewundene Schluchten, deren Wände zu hoch waren, um sie zu erklettern oder hinüberzusehen. Die leisen Geräusche, die sie erzeugten, das Scharren seiner Stiefel auf dem Gestein, das Rascheln ihrer Kleidung, kamen als Echos aus unerwarteten Richtungen zu ihnen zurück. Dann hörten sie unvermittelt, jene überlagernd, direkte Geräusche: Stimmen, Maschinen. Mischa blickte auf und umher. Jan folgte ihrem Blick und sah sein Licht auf den von der Höhlendecke hängenden versteinerten Bannern glänzen. Er schwenkte den Lichtkegel abwärts, um seinen Standort nicht zu verraten, dann blickte er in Mischas grüne Augen.
    Sie erwiderte seinen Blick und schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte sie zögernd, »aber der Widerschein ist sehr hell ...«
    Er löschte das Licht. Die Dunkelheit klappte wie ein schwarzer Kasten um sie zu. Mischa nahm ihn bei der Hand, um ihn zu führen.
    »Ich wünschte, ich hätte ein paar von deinen Genen«, sagte er.
    »Besser nicht, sonst müßten Sie auch meine Familie nehmen.« Sie tastete sich weiter. »Vielleicht kommen wir so aus diesem Labyrinth heraus.«
    Hikarus ausgestreckte Hand berührte immer wieder den kühlen Stein der Wände, während Mischa ihn auf einer umwegigen Route durch den Säulenwald führte. Er begann sich zu fragen, ob sie nicht

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