Die Asche der Erde
aber sie krabbelte hastig auf ihn zu, mit zusammengepreßten Lippen den Atem anhaltend, umgeben von winzigen, im Licht aufblitzenden Kristallfragmenten, die von der Zugluft durcheinandergewirbelt wurden. »Beeilen Sie sich!« sagte sie, als sie bei ihm anlangte. »Es ist schädlich, den Staub zu atmen.« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als er den säuerlichen Geruch in die Nase bekam und die in seiner Rachenhöhle sich auflösenden Chemikalien schmeckte. Er arbeitete sich weiter, so rasch er konnte. Mischa begann hinter ihm zu husten.
Endlich wurden die Kristallbildungen kürzer und dünner, die Abstände zwischen ihnen größer, bis die Flüchtlinge aufstehen und unter einer glitzernden Decke kristallener Eiszapfen weitereilen konnten. Plötzlich durchstieß menschliches Gelächter die Musik, und das feine Tönen der Äolsharfen veränderte sich von einem Gesang der Einsamkeit zu einem Klirren der Zerstörung, die von menschlichen Stimmen geleitet wurde. Die Kristalle brachen und zerschellten mit gellenden, splitternden Geräuschen wie den Todesschreien von Lebewesen. Die Intensität seiner zornigen Reaktion überraschte Hikaru.
Im breiten Lichtkegel der Karbidlampe konnte er weiter voraus einen quer zu ihrer Marschrichtung verlaufenden Höhlenraum sehen, wo die Winde zusammentrafen und Staubwirbel bildeten. Dunkler Sand knirschte unter seinen Stiefelsohlen. Seine Kehle brannte. Einen Augenblick lang dachte er, Grund dafür sei ein neuer Geruch, der ihn anzuwehen schien und rasch stärker wurde, als sie ihren Weg fortsetzten. Er war dem bitteren chemischen Geruch völlig unähnlich: der scheußliche, ekelhaft süße Gestank von Verwesung.
Er erfüllte und schwängerte die Luft in den Höhlengängen, obwohl der Luftzug nicht nachgelassen hatte, um an der Kreuzung der Höhlengänge eine beinahe überwältigende Intensität anzunehmen. Hikaru sah, wie Mischa die Zähne zusammenbiß, und er selbst hatte gegen die gleiche aufsteigende Übelkeit anzukämpfen.
Den hinter ihnen liegenden Gang konnten sie nicht wieder benutzen. Zu ihrer Rechten blies der Luftzug durch einen unersteigbaren Schacht aus Spalten und Felsplatten zur Oberfläche empor. Ein Ende war nicht zu sehen, geschweige denn ein Schimmer von Tageslicht, doch hörten sie das ferne Pfeifen und Tosen des Sturms.
Aus einer anderen Quelle zur Linken drang der widerwärtige Verwesungsgeruch. Es gab keine andere Wahl. Keiner von ihnen sagte etwas, aber sie setzten sich gleichzeitig in Bewegung.
Der Gestank nahm in einer Weise zu, daß Hikaru meinte, er müßte ihn mit den Händen greifen und von seinem Gesicht fortstoßen können. Er atmete in kurzen, oberflächlichen Zügen durch den halbgeöffneten Mund. Seine Augen wässerten.
Die Beschaffenheit des Bodens unter seinen Füßen veränderte sich, wurde weich. Eine graue Matte aus Flechten überzog den Stein, bedeckte die Wände und überwuchs schließlich die Decke. Zuerst schien sie trocken und weich, doch wurde sie bald dicker und üppiger, und die Stiefel versanken schmatzend in der schwammigen Masse, die sie nur widerwillig wieder losließ. Er blickte über die Schulter zu Mischa zurück, die barfuß durch diesen stinkenden Morast gehen mußte, und schauderte.
»Das sind ...« Ihre Stimme war heiser und halb erstickt. Sie hustete und nahm einen neuen Anlauf. »Das sind bloß Lichtzellen.«
Er löschte die Karbidlampe; statt von Dunkelheit, sah er sich von blaugrauem Dämmerlicht umgeben. Mischa war ein schwarzer Schattenriß. Und die Fußabdrücke bildeten eine klare, schwarze Fährte hinter ihnen. Seine Augen begannen sich rasch dem trüben Licht anzupassen.
»Alles in Ordnung?« Die Heiserkeit ihrer Stimme machte ihm Sorgen.
»Ich werde es überstehen.«
Mehr sprachen sie nicht; was sie an Atem holen konnten, brauchten sie zum Vorankommen, und die stinkende Luft wurde zusehends dicker und wärmer, wie das Wachstum der Lichtzellen zusehends üppiger und ihre Helligkeit stärker wurde. Der Höhlengang neigte sich wieder abwärts. Hikaru und Mischa bewegten sich vorsichtiger, denn der schwammig-breiige Teppich der Lichtzellen konnte den Füßen bei zunehmendem Gefälle der Wegstrecke immer weniger Halt bieten. Die Hände fanden an den von gleichem Bewuchs bedeckten Wänden keinen Griff, nichts, wogegen sie sich stemmen konnten. Hikarus Stiefel begannen zu rutschen, mit jedem Schritt ein wenig mehr, als die Reibung zwischen ihm und dem schleimigen Boden nicht mehr ausreichte, um ihn gegen die
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