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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Hartnäckigkeit nicht fehlte, würden ihm Zweifel kommen; obwohl seine Leute furchtlos waren, fehlte es ihnen an Beharrlichkeit. Aber ob diese Eigenschaften der Jagd den Erfolg brachten oder ihren Mißerfolg besiegelten, hing allein davon ab, wie lange er und Mischa ihre Fortdauer erzwingen konnten.
    Er spürte das Wachsen seiner nervösen Spannung. Mischa schien es nicht zu fühlen, und es beruhigte ihn, daß er noch Selbstbeherrschung besaß. Aber die Symbole am Eingang des Höhlengangs mußten eine Bedeutung gehabt haben, und er wünschte die Gefahr herbei, damit sie sich ihr stellen könnten. Alle Unbekannten dieser dunklen Höhlenwelt schienen sich gegen ihn verschworen zu haben. Zum erstenmal fiel ihm eine sanfte Luftströmung auf, die, von rückwärts kommend, an ihm vorbeistrich, beinahe zu leicht, um gefühlt zu werden. »Mischa, fühlst du den Luftzug?«
    »Ja.«
    »Ein Ausgang?«
    »Ich hoffe nicht. Die Zeit der Stürme ist längst noch nicht vorbei.«
    Der Gang verengte sich, der Luftzug wurde stärker, und als sie weiterstiegen, hörten sie die Luft durch Gesteinsspalten und um Vorsprünge seufzen. Dahinter aber vernahmen sie das schwache, furchteinflößende Tönen von Äolsharfen in vielen Tonlagen.
    Die Brise blies kalt über seinen Rücken, und Hikaru schauderte.
    Einige hundert Schritte weiter erkletterte Mischa die Riesentreppe einer Reihe von Kalksinterterrassen, die einem versteinerten Wasserfall glichen. An seinem oberen Ende bot der Höhlengang einen schmalen, spaltenartigen Durchlaß, durch den Mischa sich auf dem Bauch liegend zwängte, um gleich darauf zurückzukommen. »Wir können durchkommen ... Aber, Jan ...«
    Er stieg zu ihr hinauf. Das vielstimmige Tönen des Windes war so stark geworden, daß er sie kaum verstehen konnte. »Geh einfach weiter!«
    Hinter der Engstelle öffnete sich ein schmaler Gang, in welchem der Wind und das Tönen sich zu den Elementen eines geisterhaften Sturms vereinigten, ihm den Atem von den Lippen rissen, sein Gehör verwirrten und seine Sicht trübten. Während er mit der Linken die Lampe hielt, ließ er die Fingerspitzen der Rechten am Gestein der Höhlenwand entlangstreifen, dankbar für die massive Festigkeit. Die Lautstärke der unirdischen Musik nahm zu. Der Gang öffnete sich plötzlich in eine geräumige, fächerförmige Kammer. Mischa blieb stehen und wandte den Kopf, und Hikaru wußte, was sie ihm hatte sagen wollen.
    Sein Licht tanzte über die schimmernden, zerbrechlichen Spitzen, Kanten und Flächen von Tausenden feiner Kristallgebilde, die es in allen Regenbogenfarben brachen. Sie vibrierten unaufhörlich; der vorbeistreichende Wind versetzte sie in feine, tönende Schwingungen, ein unberechenbarer Freier, dessen Liebkosungen ihnen nie gehörte Musik entlockten.
    Hikaru näherte sich dem hängenden Garten. Die Spitzen waren nur Teile einander überlagernder und ineinander verwachsener Kristalle: einander durchdringende geometrische Formen wie aus dem Experimentierlabor eines Wissenschaftlers, der die Kontrolle über sein Wirken verloren hat. Einige mochten die Größe der Kristalle, durch die er gefallen war, um das Hundertfache übertreffen, aber er begriff, daß sein blindes Tappen einen Ort von annähernd gleicher Schönheit zerstört haben mußte. Er tat einen weiteren Schritt vorwärts und hob die Hand, um eines der zauberhaften Gebilde zu berühren.
    »Nicht anfassen !«
    Aber er wußte bereits, daß ihre Schönheit die Schönheit der Gefahr war, ihre Anziehungskraft die Anziehungskraft des Unheils. Er ließ die Hand sinken.
    »Gehen wir! Je eher wir das hinter uns bringen, desto besser.«
    An manchen Stellen konnten sie zwischen den glitzernden Dolchen durchgehen, und ihr Vorbeigang veränderte die Melodie der feinen Schwingungen und brachte einen Mißklang hinein, als wären die unbelebten Gebilde fühlende Wesenheiten, die sich der Störung widersetzten.
    Ein Stück weiter mußten sie auf allen vieren kriechen, weil die Kristalle so eng beieinander wuchsen, daß anders kein Durchkommen möglich war. Bedingt durch die Enge des Raumes, wehte der Wind hier stärker, und brachte die feinen Kristallspitzen in sichtbare, winzige Vibrationen. Mit einer unvorsichtigen Bewegung ihrer Schulter brach Mischa eine Kristallbildung ab, die mit einem hohen, scharfen Ton auf dem Steinboden zerschellte. Mischa riß die Hand hoch, um ihre Augen zu beschirmen. Hikaru, der vorauskroch, hielt inne und blickte zu ihr zurück. Mischas Gesicht war ungezeichnet,

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