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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Schwerkraft zu halten.
    Mischa schrie auf. Im Abrutschen warf sie sich zurück, um ihre Vorwärtsbewegung auszugleichen, und landete auf Ellbogen und Hüfte. Er wollte sie halten, als sie wie auf einer Rutschbahn an ihm vorbeisauste, fühlte den derben Stoff ihrer Jacke unter den Fingerspitzen und verlor sie und gleichzeitig seine Balance. Er geriet seitwärts ins Rutschen, warf sich geistesgegenwärtig auf den Rücken und versuchte mit Absätzen und Händen zu bremsen, irgendwo einen Halt an einem Felsvorsprung zu finden, aber der Bewuchs der Lichtzellen war zu dick und quoll ihm gallertig durch die Finger, als er schneller und immer schneller abzurutschen begann. Er fühlte, wie er eine Masse von Lichtzellen wie einen Berg von Froschlaich gleich einer Bugwelle vor sich herschob; sie überspülte ihn, brandete über seinen Kopf, und er warf die Arme hoch und bedeckte sein Gesicht, entsetzt von der Vorstellung, in der schleimig-stinkenden Masse wie im Verwesungsbrei eines Grabes zu ersticken. An Versuche, der sausenden Fahrt Einhalt zu gebieten, war nicht mehr zu denken.
    Mit einem dumpfen Schlag, der ihn hart zusammenstauchte, kam er zum Stillstand: fühlte ihn, ohne darauf zu reagieren. Er war zu benommen, zu entsetzt, zu beschäftigt, um nach Luft zu schnappen. Die Atmosphäre war derart schwül, der Gestank so infernalisch, daß er meinte, die Augen nicht öffnen zu können, fürchtete ohnmächtig zu werden: In der Suppe chemischer Zersetzung, die er atmete, konnte kein Raum für Sauerstoff sein.
    Es gelang ihm, sich an dem Felsblock aufzurichten, der tief in dem schleimigen Morast steckte und ihn aufgehalten hatte. Sein Körper war von der höllischen Rutschpartie wie gerädert.
    Die weitläufige Höhlenkammer, in die er gefallen war, war erfüllt vom Glimmen eines Lebens, das sich am Tode nährte. Hikaru hörte kleine, huschende Geräusche von Tieren, dann das zu einem rauhen Heulen ansteigende Grollen von etwas Großem und Raubtierhaftem. Ihn fröstelte.
    Die von Mischas Körper in den Untergrund gewühlte Gleitbahn führte am Felsblock vorbei. Ihr Körper lag einige Meter weiter, bäuchlings ausgestreckt, einen Arm eingetaucht in trübes, stinkendes Wasser. Sie regte sich nicht. Jenseits von ihr, teils aus dem Wasser ragend, teils darin treibend, machte er andere Gestalten aus, einige dunkel eingehüllt und neu, andere alt im Zerfall begriffen, überwachsen von Lichtzellen. Das Ufer des Teiches war von Knochenhaufen gesäumt: Schädeln, Rippen, zersplitterten, zerbissenen Markknochen von Beinen und Armen, Schulterblättern und Rückenwirbeln. Dies war die letzte Ruhestätte der Toten aus dem Zentrum. Ein saurer Geschmack stieg ihm in die Kehle, er würgte, und die Reflexe überwältigten ihn. Würgend und spuckend fiel er im Morast auf die Knie. Als sein Magen zur Ruhe gekommen war, kniete er keuchend und schnaufend, sog die flüchtigen Produkte der Verwesung in seine Lunge, wissend und hinnehmend, daß er ihre Vergangenheit war, wie sie seine Zukunft waren.
    Er stand wieder auf und stapfte langsam zu Mischa. Sie schien so schlaff und leblos, daß er befürchtete, sie möchte sich der still glimmenden Menge zugesellt haben. Doch als er sich über sie beugte, unter den Achseln faßte und aufhob, regte sie sich. Seine Erleichterung war größer als aller Schrecken, den er empfunden hatte. Er half ihr auf. Das lange Haar klebte ihr schleimig und leuchtend an Wangen und Hals. Sie wischte sich das Gesicht, spuckte und blickte über das Wasser hin.
    »Mein Gott«, murmelte sie. »Das also ist der Ort, wo sie bleiben.«



»Ja.« Doch bei aller Hinnahme der Tatsachen schaute er nicht wieder hinüber. Er fürchtete ein schwarzes, mit Stickereien verziertes Bahrtuch zu sehen. »Wenn du kannst, laß uns von hier fortgehen.«
    Auf der Suche nach einem Ausgang entdeckten sie zu ihrer Überraschung eine Tür. Beinahe wären sie daran vorbeigegangen, aber Mischa wurde auf die gleichmäßig rechteckige Vertiefung aufmerksam und kratzte die dicke Schicht der Lichtzellen fort. Er half ihr, und gemeinsam legten sie eine glatte Oberfläche aus grauem Kunststoff frei, das erste Zeichen menschlicher Bautätigkeit, das sie seit dem Verlassen des Zentrums gesehen hatten. Hikaru erinnerte sich an die drei warnenden Symbole. Nun, sie hatten die Kristalle und die Totengruft überlebt.
    Mischa legte die Hand gegen die glatte Fläche und stieß, doch die Tür gab nicht nach. Erst als sie sich beide mehrmals mit verzweifelter Energie

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