Die Asche der Erde
Blaisse blieb stehen. »Wenn Sie die Unterkünfte sehen wollen, bevor Ihre Leute einziehen ...«
»Die ›Unterkünfte‹?«
»Ja. Separate Mannschaftsquartiere. Für Ihre Leute.« »Unsere Leute bleiben bei uns«, sagte Subzwei.
»Was, hier?«
»Selbstverständlich. Es ist reichlich Raum vorhanden.«
Blaisse musterte sie stirnrunzelnd, dann zuckte er die Achseln. Er ließ seine Hand über Saitas Rücken hinauf in den Nacken und unter ihr langes Haar gleiten. »Wenn Sie so wollen.« Er blickte umher und schien plötzlich sehr von ihnen und seiner Umgebung gelangweilt. »Wenn Sie sonst etwas benötigen, wenden Sie sich an die Haushofmeisterin hier. Behelligen Sie mich nicht damit.« Damit verließ er sie, ohne ein weiteres Wort oder einen Blick.
»Madame?«
»Ja, Herr?« Ihre grauen Augen blickten von einem zum andern, um am Ausdruck zu erkennen, wer von ihnen gesprochen hatte.
»Ist das Ihr Name?«
Sie erkannte Subzwei als den Sprecher und sah ihn an, dann schlug sie den Blick nieder und wandte sich halb zur Seite. »Es wird genügen.« Sie gingen durch die Räume zurück, die sie zuvor besichtigt hatten. Subzwei erinnerte sich der Verhaltensregeln, die man ihnen eingeprägt hatte. »Man erkundigt sich immer nach dem Namen«, hatte man sie gelehrt. »Und wenn man ihn hört, prägt man sich ihn ein, um ihn jederzeit parat zu haben.« Daß diese Haushofmeisterin jemand war, auf den diese Regeln nicht angewandt werden mußten, kam ihm nicht in den Sinn. Und daß sie den Wunsch haben könnte, nicht über sich selbst zu sprechen, war unvorstellbar.
»Aber das ist kein Name.«
»Ich werde auf jeden Namen antworten, den Sie mir zu geben geruhen, Herr«, sagte sie. Subzwei bemerkte eine Spannung in ihr und war interessiert, denn dies war das erste Zeichen von persönlichen Empfindungen, das sie zu erkennen gab.
»Ich würde Sie lieber bei Ihrem richtigen Namen nennen«, sagte er.
»Ich war acht, als ich gefangen wurde«, antwortete sie. »Meine Eltern gaben mir den Namen Galathea, aber seit mir meine Freiheit und meine Kindheit genommen wurden, habe ich keinen Namen gehabt.«
»Ein Mensch sollte eine Kindheit haben«, sagte Subeins. Die Frau schrak beim Klang seiner Stimme zusammen. Vielleicht verwirrte sie, daß er den gleichen Gesichtsausdruck zeigte wie sein Partner: einen abwesenden Blick, dem nichts von der angenehmen Nostalgie üblicher Erinnerungen anhaftete.
Die Frau führte sie zu einem zweiten Steigrohr. »Damit können Sie zur ersten Ebene gelangen«, erläuterte sie. »Einer der Korridore dort führt zurück in den Palast, der andere steigt eine Strecke an und mündet schließlich in den Verbindungsstollen zum Blockhaus, durch den Sie gekommen sind.«
»Unsere Leute werden hungrig und müde sein«, sagte Subzwei.
»Ich werde veranlassen, daß ihnen eine Mahlzeit gebracht wird«, sagte die Frau. »Die Räume sind fertig. Werden Sie besondere Dienstleistungen benötigen?«
»Einstweilen nicht. Und was unsere Leute betrifft, so liegt es an ihnen.«
»Benötigen Sie Sklavenquartiere?«
Subzwei war im Begriff aufzubrausen, beherrschte sich jedoch. »Wir haben keine Sklaven«, sagte er. »Sklaverei ist eine Vergeudung menschlichen Potentials.«
Sie deutete eine Verneigung an und wandte sich zum Gehen. »Kommen Sie am Morgen wieder«, sagte er. »Wir werden einiges Baumaterial kaufen.«
»Ich werde zur Verfügung stehen, wenn Sie bereit sind, Herr.«
5
Es war die Dämmerungszeit kurz nach dem Erlöschen der hellsten Lichter und fünfzehn Minuten vor Dunkelwerden. Die blutlüsternen Zuschauer waren längst nach Hause gegangen. Mischa regte sich, und das war ein Fehler. Fast wäre sie wieder ohnmächtig geworden. Der ältere Mann zu ihrer Linken quälte sich noch immer mit Reue und Schuldgefühlen; der Gefährte auf der anderen Seite ertrug in stiller Verzweiflung seine Schmerzen.
Ohne es bewußt zu tun, drehte Mischa ihre Handgelenke in den Lederschlaufen, die sie hielten, und versuchte sie durch Zerren zu weiten. Keine Vernunftüberlegung leitete sie an, nur das Bedürfnis, frei zu sein. Die Lederschlaufen hatten ihre Haut vorher schon wundgerieben, und so begannen ihre Handgelenke bald zu bluten. Das Leder sog das Blut auf, wurde naß und begann sich zu dehnen.
Der Mann neben ihr wandte langsam und unter Schmerzen den Kopf, als er ihr angestrengtes Keuchen hörte. Eine Weile betrachtete er ihre blinden Anstrengungen, dann sagte er: »Laß das, Mädchen. Am Morgen werden sie uns
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