Die Asche der Erde
herunterlassen. Wenn sie dich erwischen ...«
Mischa hörte ihn kaum. Sie spürte, wie zuerst ihre Handgelenke freikamen, dann ihre linke Hand und mit deren Hilfe die rechte. Mit einem animalischen Schmerzenslaut rutschte sie an der rauhen Steinoberfläche hinunter und fiel auf Hände und Knie. Sie fühlte sich vollständig entleert, kraftlos und keiner Emotion fähig. Der Schmerz war ein Teil von ihr; er fraß sich wie ein bösartiges Geschwür in sie hinein. Ihr Rücken war blutig überkrustet. Sie erhob sich auf die Füße, stolperte vorwärts und fiel beinahe vom Rand der Plattform. Rohes Fleisch schrammte gegen eine Ecke, und sie kauerte zitternd, bis sie sich wieder bewegen konnte. Ihre Augen und ihre Kehle brannten. Blut begann aus den aufplatzenden Krusten zu sickern.
Sie kroch und wankte zur Alpha-Spirale. Sie sah und hörte nichts von den wenigen Menschen, die noch unterwegs waren, sie sahen und mieden. Sie kannte nur ein wildes und verzweifeltes Bedürfnis, zu entkommen.
Jemand faßte sie am Arm. Sie reagierte mit einem heftigen Reflex, riß sich los, griff nach ihrem verlorenen Messer, stolperte wieder und fiel in den Sand. Der Schmerz war so stark, daß sie sich nicht bewegen konnte. Ihr Atem ging in rauhen, keuchenden Stößen.
»Es ist schon gut, Mischa, ich bin es.«
Sie hörte die Worte, aber sie bedeuteten ihr nichts. Sie rappelte sich auf, hinterließ Blutstropfen im Sand. Wieder berührte jemand ihren Arm. Sie versuchte die Hand wegzustoßen.
»Laß mich helfen, verdammt!«
Mischa ignorierte die Stimme nicht, sie verstand einfach nicht, was sie sagte. Wenige Meter voraus war der Radialstollen, der zu ihrer Nische führte. Sie meinte es nicht mehr zu schaffen. Jeder
Schritt war eine Mühsal, die über ihre Kräfte ging. Ihre Beinmuskeln zitterten vor Entkräftung, aber mit wankenden Knien schleppte sie sich weiter.
Die Person, die ihr folgte, versuchte sie zu stützen. Mischa schlug erschrocken zurück. Danach blieben die Schritte weiter zurück. Sie taumelte in den Radialstollen, stand eine Weile an die Wand gelehnt, um nicht zu fallen. Die Person hinter ihr trat zögernd einen Schritt näher. Mischa schwankte fort in die blutrote Dunkelheit.
Der Stollenboden war ein Morast, das Halbdunkel ein trüber Vorhang vor ihren Augen. Sie wankte weiter.
Mehr durch Gefühl als durch die Sicht ihrer Augen wußte sie, daß sie ihre Höhle erreicht hatte. Die Stollenwände waren roh und natürlich, ungeglättet. Ihre Finger tasteten über das Gestein zur Öffnung.
Sie fiel hinein und auf ihr Lager, wie eine Puppe, deren Gelenke in die verkehrte Richtung gebogen sind.
Sie begann zu sich zu kommen, kämpfte sich empor an die Oberfläche des Bewußtseins. Ihr Ringen wurde zu einer tatsächlichen körperlichen Anstrengung des Zufassens und Sichwindens und Emporkletterns aus einem tiefen Abgrund. Der Selbsterhaltungstrieb drängte sie vorwärts; da sie nicht wußte, was sie umgab, mußte sie sich in Sicherheit bringen.
»Es ist alles in Ordnung, Misch, alles ist gut. Schlaf weiter.« Endlich hörte sie die Stimme und fühlte sanfte Hände an den Oberarmen, die sie auf das Lager drückten. Sie wehrte sich schwächlich, bis ihr klar wurde, daß die Stimme Freund und nicht Feind war, mehr nicht, denn die Bedeutung der Worte verstand sie nicht. Sie wollte die lange, unmögliche Anstrengung fortsetzen, doch die Stimme besänftigte und ermutigte sie, und schließlich gab sie nach, ließ los und sank zurück in den Abgrund der Bewußtlosigkeit.
Sie durchlebte eine endlose Folge von Fieberträumen. Wenn sie später daran zurückdachte, waren die Einzelheiten nie klar. Die Zeit zog sich hin, und jeder Traum sog sie tiefer hinab, weiter von Licht und Luft und Sand und Sonne und Sternen.
Dann war sie in wahrer Dunkelheit gefangen, schlief wie eine verwundete Katze. Eine Barriere erhob sich vor ihr, und als sie sie überwinden wollte, erwies sie sich als zu hoch und schlüpfrig, als daß sie sie hätte erklettern können. Sie wollte die Barriere umgehen und wanderte in gerader Linie daran entlang, nur um zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren, der durch nichts markiert war, den sie aber irgendwie erkannte. Zornige Enttäuschung erfüllte sie, und sie schlug gegen die Barriere. Diese explodierte lautlos und hinterließ dichten Nebel und Rauch. Lange wanderte sie durch das riesige Trümmerfeld.
Langsam löste sich der Nebel auf. Mischa lag bäuchlings auf ihrem Lager. Sie war allein in ihrer Nische und
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