Die Asche der Erde
Bildschirm des Sicherheitssystems erwachte zum Leben. Aus einem Seitenkorridor kam die Haushofmeisterin in Sicht, durchquerte den achteckigen Zentralraum des Foyers und verschwand in einem anderen Korridor, unterwegs in unbekannter Mission. Während er die Anmut ihrer Haltung und ihrer Bewegungen bewunderte, ging ihm wieder ihr Name in den Sinn: Galathea. Ihr Anblick war ein Tröstung, aber es bekümmerte ihn, daß die Vollkommenheit ihrer Fassade selbst dann makellos blieb, wenn sie allein war. Natürlich wußte sie von den Kameras. Aber er fragte sich, ob ihr diese Fassade nicht längst zur zweiten Natur geworden sein mochte, ob sie sich jemals Entspannung erlaubte. Hatte sie überhaupt einen Ort, wo sie sich unbeobachtet fühlen konnte?
Im späten Frühjahr, wenn sie die Erde wieder verließen –vielleicht ein wenig eher, wenn es ihm gelänge, Subeins zum frühzeitigeren Abflug zu überreden –, gedachte er sie mitzunehmen. Notfalls würde er sie stehlen und ihr die Freiheit schenken. Stehlen ... die Vorstellung mißfiel ihm. Menschen als stehlbar anzusehen, war gleichbedeutend mit der Anerkennung ihres Charakters als Eigentum. Er ertrug es nicht, Galathea den Launen und der Grausamkeit Blaisses ausgeliefert zu sehen, ihr Schicksal und sogar ihr Überleben in seinen Händen, nicht anders als eine verkäufliche Ware.
Eine verkäufliche Ware ... Verkäuflich...
Er verließ sein Arbeitszimmer und ging in den Korridor. Dieser gefiel ihm nicht länger, denn Subeins hatte ihn verändern lassen, hatte wieder Teppiche legen, Zierat anbringen und die sauberen, glatten Wände mit unfeinen Malereien ausschmücken lassen.
Das Steigrohr brachte ihn in Blaisses Teil des Palastes. Er ignorierte die Sklaven, die sich vor ihm verneigten, als er vorüberging. Er hätte Anweisungen geben können, daß sie ihm nicht zu Gesicht kämen, zog es aber vor, alle Verhaltensmuster zu meiden, die für seinen Pseudozygoten und Blaisse charakteristisch waren.
Der Wächter vor Blaisses Privatgemächern sagte Subzwei mit kaum verhohlener Unhöflichkeit an, eine Reaktion, die der letztere nicht verstehen konnte, bis er sich an die andere Wächterin erinnerte, die hier einen gewaltsamen Tod gefunden hatte. Er wollte etwas zu diesem finster dreinblickenden jungen Mann sagen, doch fiel ihm nichts ein, was nicht seinen eigenen Stolz verletzt haben würde. Er dachte nicht daran, sich für Subeins zu entschuldigen.
Blaisse lag im Bett, Saita an seiner Seite, die um ihn bemüht war. Sie hielt mit ihren Bewegungen inne und hob den Kopf, als der Pseudozygote eintrat. Subzweis Erziehung, allein in einer kontrollierten Umgebung, hatte eine unbeabsichtigte Sittsamkeit in ihm erzeugt, die sich von solchen Anblicken noch immer zutiefst abgestoßen fühlte. Er mußte seine Empfindungen zu erkennen gegeben haben, oder Blaisse erinnerte sich an das Gelage, denn er lachte behäbig. »Sie sind wirklich prüde, guter Freund. Ich dachte nicht, daß es heutzutage noch welche von Ihrer Sorte gäbe.« Er schob das Mädchen beiseite und bedeckte seine Blöße.
»Ich schätze einfach meine Zurückgezogenheit.«
»Ja, ich weiß.«
»Ich wollte Sie nicht kritisieren.«
»Noch wollte ich Ihnen zu nahe treten.«
Gespräche mit Blaisse nahmen niemals den Verlauf, den Subzwei zuvor anvisiert hatte. Ohne eine Einladung abzuwarten, setzte er sich in einen Sessel, der dem Bett gegenüberstand, und ließ die Fingerspitzen über den bestickten Brokat des Bezugsstoffes gleiten.
»Ich habe Ihre Sitten und Bräuche beobachtet.«
»Und?«
»Einige von ihnen erscheinen mir durchaus annehmbar«, sagte Subzwei und verabscheute sich für die Lüge.
»Wollen Sie mir nicht sagen, welche es im einzelnen sind?« Blaisse zeigte sein schreckliches, undurchdringliches Lächeln.
»Maschinen sind unzureichende Gesellschaft. Mich interessieren andere Optionen.«
»Ihr Bruder – entschuldigen Sie, Ihr Pseudozygote – scheint hier im Zentrum alles zu finden, was er braucht.«
»Seine Bedürfnisse sind nicht die meinigen.«
»Welches sind Ihre Bedürfnisse?«
»Eine Beziehung von längerer Dauer als jene, die man im Zentrum aushandelt.«
»Ein festes Verhältnis, meinen Sie?«
»Ja.«
»Aber natürlich nur zu Ihrer Bequemlichkeit.«
»Ja«, sagte Subzwei, vielleicht etwas zu rasch. Er fragte sich, welchen Nutzen Blaisse aus dieser seiner persönlichen Schwäche ziehen mochte.
»Dann werden wir Ihre Bedürfnisse selbstverständlich befriedigen müssen. Was Sie wollen, ist
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