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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Mathematik verstehen, ohne es gelernt zu haben, und nur Werkzeuge benötigen – ein Instrument oder eine Einführung zur Niederschrift – , mit denen sie ihr Talent ausdrücken können. Weil es Begriffe gibt, die anders nicht ausgedrückt werden können. Einmal sprachen wir über Rotationslinien um Punkte, Ebenen um Linien, n-Dimensionen als Angelpunkt für n + 1. »Lind ein Körper um eine Ebene«, sagte sie. Ich stimmte zu und erwiderte, daß eine solche Situation natürlich nicht vorstellbar sei.
    »Aber sie ist es!«
    Sie versuchte mir zu erklären, was sie in ihrer Vorstellung sehen konnte, zuckte aber dann die Achseln und breitete die Hände aus. »Es gibt keine Worte dafür.« Ich denke, sie kann sich tatsächlich eine Situation in vier Dimensionen vorstellen. Ich habe von Leuten gehört, die es konnten, aber nie jemanden getroffen.
    Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, was an der Musik und an der Mathematik sein mag, daß sie von einigen Menschen instinktiv integriert werden. Auch durch meine neuen Erkenntnisse bin ich einer Antwort darauf nicht nähergekommen.
    Ich kann ihr noch immer auf anderen Gebieten helfen, und das Lehren und Lernen ist für uns beide ein Vergnügen. Doch wenn sie auch aus eigener Kraft weiterarbeiten kann, wo meine Weisheit am
Ende ist, würde es doch besser für sie sein, richtungweisende Anleitung- zu haben. Leider weiß der Navigator unseres Scham nicht viel mehr als ich. Ich glaube, Subzwei verleiht Titel, um die Leute glücklich zu machen, und tut die eigentliche Arbeit selbst. Er ist der einzige, den ich hier um Rat fragen kann.
     
    Subzwei machte einen Fehler, hielt inne und streckte die Hand nach dem Bildschirmgerät aus, um die Zahlen, Buchstaben und Gleichungen zu löschen.
    Dies war der zweite Fehler in ebenso vielen Stunden, und seine mangelnde Konzentration verdroß ihn. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und ließ die Reaktionen seines Körpers ins Bewußtsein eindringen. Müdigkeit (Überschuß an Milchsäure). Hunger (Hypoglykämie). Muskelverspannung, behinderte Blutzirkulation. Und ein tiefes Gefühl von Unbehagen, das er weder analysieren noch zerstreuen konnte. Er blickte zum Chronometer und wäre geneigt gewesen, ihn für fehlerhaft zu halten, hätte er es nicht besser gewußt. Für den Mißbrauch seines Körpers gab es keine Entschuldigung; er hatte seit zwei Tagen kaum geruht und nichts gegessen, und die Tage davor hatte er in ähnlich verantwortungsloser Weise verbracht. Seit zwei Wochen hatte er weder seine Räume verlassen noch mit einem anderen Menschen gesprochen. Die Isolation störte ihn nicht, aber ihre Auswirkung auf seine Bemühungen, wie andere Menschen zu leben, war fatal. Er bezweifelte, daß es ihm je ganz gelingen würde, aber eine derartige Selbstisolierung war nur geeignet, den Unterschied noch offensichtlicher zu machen und nicht einmal den Anschein von Normalität zuzulassen. Zwar hielt er sich auf dem laufenden und stand über die Sprechanlage in ständiger Verbindung mit seinen Leuten, doch hätte er längst sein bequemes Quartier verlassen und sich im Speisesaal, im Gemeinschaftsraum oder in der Gymnastikhalle sehen lassen sollen. Wenn er nicht nur Gehorsam wünschte, sondern Wert legte auf die Loyalität seiner Leute, dann war es nötig, etwas dafür zu tun, mit ihnen zu spielen, zu arbeiten und zu essen, statt seinen menschenscheuen Neigungen zu frönen und sich abzuschließen.
    Andererseits hegte er eine unüberwindliche Abneigung gegen jede Form von Anbiederung. Er arbeitete gern mit ungestörter Konzentration, unbehelligt von nichtssagendem Geschwätz und der unruhigen Anwesenheit anderer. Seine Gefolgsleute, allesamt Ausgestoßene und Gesetzlose, sagten ihm nichts. Er hatte sie immer bemitleidet; sie konnten sich nicht anpassen, sie konnten nirgendwo als in der Exilwelt überleben, die sie für sich selbst schufen. Ständig auf der Flucht vor etwas, das sie eines Tages ereilen würde, oder auf der Suche nach etwas, das sie niemals finden würden, lebten sie in den Tag hinein. Dennoch schienen sie mit ihrem Los zufrieden. Er verübelte ihnen ihr triviales Glück.
    Obgleich er die Bedürfnisse seines Körpers erkannt und akzeptiert hatte, verharrte er vor seinem Datenanschluß. In ihm war eine große Frustration, weil er bei all seinem Intellekt, all seiner Wißbegierde und Hingabe keinen Weg zur Zufriedenheit gefunden hatte, von Glück ganz zu schweigen.
    Die Überwachungskamera im Foyer schaltete sich ein, und der

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