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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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von uns etwas dagegen machen können.«
    »Ich weiß nicht ...«
    Er hob die Hand mit sichtlicher Anstrengung und berührte die trocknenden Tränen an ihrer Wange. Sie wischte sie rasch mit dem Ärmel fort, beschämt. Chris rückte zur Seite. »Komm und schlaf !«
    Dankbar schlüpfte sie unter die dünne Decke neben ihn. Chris sagte ihr nicht, daß alles in Ordnung kommen werde, und auch dafür war sie dankbar. Er legte den Arm um sie, in einer schützenden Gebärde, und in ihrer Erschöpfung konnte sie sich ihn als die verläßliche und kämpferische Person vorstellen, die er in jüngeren Jahren gewesen war. An ihn geschmiegt, fühlte sie, wie er ihr mit sanfter, zitternder Hand das wirre Haar aus der Stirn strich.
     
    Chris schien sich überhaupt nicht bewegt zu haben, als Mischa erwachte, noch hatte sie den Eindruck, daß er geschlafen hatte. Aber er hatte ihr Erwachen gefühlt; er sperrte die Welt nicht aus.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Besser«, sagte Mischa. »Ganz gut.« Sie reckte die Arme über den Kopf, die Fäuste geballt. Sie setzte sich auf und blickte in Chris' halbdunklem Raum umher. Die Höhlenkammer war fast leer. Die Kleidungsstücke hingen wie ein zerrissenes Bahrtuch von seiner Arbeitswand. Sie stand auf und wanderte im Raum umher; sie hatte Hunger, aber es gab nichts Eßbares.
    »Chris, ich werde fortgehen.«
    Er hob fragend die Brauen; es war nicht üblich, daß sie sich einander erklärten.
    »Ich meine, ich werde das Zentrum verlassen. Im Palast sind neue Leute, Fremde. Im Frühjahr werde ich mit ihnen gehen.«
    »Das ist gut, Mischa.« Sie konnte nichts in seiner Stimme hören, keinen Neid, kein Bedauern, keine Freude.
    »Wirst du mitkommen?«
    Im schlechten Licht schienen seine grünen Augen schwarz; dann bewegte er sich, und sie fingen Licht und reflektierten es wie die Augen eines Tieres. Er blickte zu Boden. »Nein ... wirklich, nein.«
    »Dort draußen könnte man dir helfen.«
    »Mach nur und geh.«
    »Ich möchte nicht ohne dich fort.«
    »Doch, du willst.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Er schloß die Augen und sagte nichts.
    »Nun sei nicht beleidigt, Chris. Bitte.«
    »Es würde nicht klappen.«
    »Wenn du dir das weiter einredest, wirst du es vielleicht selbst glauben.«
    Er nickte sehr schwach, ohne die Augen zu öffnen.
    »Es würde interessant sein«, sagte sie.
    Er hob die Schultern und drehte den Kopf weg.
    Mischa begann zornig zu werden, und ihre Stimme hob sich.
    »Hier klappt es nicht, also kann es nur ein Gewinn sein.«
    Ein Schatten von Verdrießlichkeit ging über seine Stirn, aber
    er öffnete die Augen nicht, als er sprach: »So warst du noch nie.« »Du auch nicht!«
    Die Spannung zwischen ihnen wuchs in der Stille.
    Chris ließ den Atem in einem langen Seufzer ausströmen. »Du bist mir das nicht schuldig.«
    Sie kniete an seinem Bett, über ihn gebeugt. »Ich bin dir viel schuldig.«
    »Dann laß mich in Ruhe. Laß mich einfach allein.«
    Mischa ließ sich auf die Fersen zurücksinken. Die Luft war kalt. Sie stand auf, ging durch den Raum und machte mit geballten Fäusten neben der verhängten Wand halt.
    »Hast du gearbeitet?«
    Er stieß sich vom Bett hoch, plötzlich aufmerksam und beunruhigt. Das schmutzige Haar fiel ihm in Strähnen ins Gesicht, und er warf es mit einem Ruck zurück. »Geh da weg!« Chris hob niemals die Stimme; wenn er wütend war, verfiel er in dieses gepreßte Flüstern.
    Mischa ergriff ein ungewaschenes, graues Hemd, das ihr am nächsten hing, und zeigte es ihm. »Ist das alles, was von dir übriggeblieben ist?« rief sie.
    Er kroch auf sie zu, aus dem Bett und über den Boden, versuchte aufzustehen, strauchelte und fiel vornüber. Mischa sprang hinzu, um ihn aufzufangen, kam aber zu spät. Er schlug auf Unterarme und Ellbogen und blieb keuchend im Schmutz liegen, verbarg das Gesicht zwischen den Händen.
    Mischa berührte sein schmieriges Haar, ergriff seine magere Hand und zog sie ihm sanft vom Gesicht fort. Seine grindige Wange war tränenverschmiert. »Komm und bleib bei mir«, sagte Mischa. »Für eine kleine Weile.«
    »Ist gut«, sagte er, ohne sie anzusehen.
     
    Bei der Annäherung an die hohen Flügeltüren des Gästequartiers fühlte Mischa die emotionslose Leidenschaft von Subeins wie einen trägen Dunst, der alles bis auf einen Fühler intellektuellen Engagements von Subzwei verdunkelte. Sie zögerte, bevor sie klopfte, hätte unter dem Vorwand, daß sie ihn nicht stören sollte, am liebsten wieder das Weite gesucht. Sie

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