Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
spricht nie mit mir. Seumas sagt, sie ist nicht richtig im Kopf, also sag kein Wort zu ihr.
Die Julitage sind lang, und ich habe Angst vor der Dunkelheit. Es gibt nur zwei Deckenlampen auf der Station, und die werden ausgeknipst, wenn das Abendbrottablett abgeräumt wird und die Krankenschwester mir Pillen gibt. Die Krankenschwester sagt mir, ich soll jetzt schlafen, aber ich kann nicht, und ich will auch nicht, weil ich in den neunzehn Betten der Station Menschen sehe, die alle sterben und grün um den Mund sind, wo sie versucht haben, Gras zu fressen, und sie stöhnen und wollen Suppe protestantische Suppe irgendeine Suppe und ich lege mir das Kopfkissen
aufs Gesicht und hoffe sie kommen nicht und stehen um mein Bett herum und krallen sich an mir fest und heulen daß sie von der Tafel Schokolade was abhaben wollen die meine Mutter mir letzte Woche mitgebracht hat.
Nein, sie hat sie mir nicht mitgebracht. Sie mußte sie unten abgeben, weil ich keinen Besuch mehr kriegen kann. Schwester Rita sagt mir, ein Besuch auf der Fieberstation ist ein Privileg, und nach meinem schlechten Benehmen mit Patricia Madigan und diesem Gedicht habe ich das Privileg nicht mehr. Sie sagt, in ein paar Wochen darf ich nach Hause, und jetzt soll ich mich auf meine Genesung konzentrieren und wieder gehen lernen, nachdem ich sechs Wochen im Bett gelegen habe, und morgen nach dem Frühstück darf ich aufstehen. Ich weiß nicht, warum sie sagt, daß ich gehen lernen soll, wenn ich doch gehe, seitdem ich ein Baby war, aber als die Krankenschwester mich neben dem Bett hinstellt, falle ich um, und die Krankenschwester lacht, siehst du, du bist wieder ein Baby.
Ich übe, von Bett zu Bett und auf und ab und auf und ab zu gehen. Ich will kein Baby sein. Ich will nicht auf dieser leeren Station sein und keine Patricia da und kein Wegelagerer und kein rotlippiges Wirtstöchterlein. Ich will keine Geister von Kindern mit grünen Mündern, die mit knochigen Fingern auf mich zeigen und zetern,
sie wollen was von meiner Tafel Schokolade abhaben.
Seumas sagt, ein Mann in seiner Kneipe kannte alle Strophen von dem Wegelagerergedicht, und es hat einen sehr traurigen Schluß. Ob ich möchte, daß er es aufsagt, weil er nämlich nie lesen gelernt hat und das Gedicht im Kopf mitbringen mußte? Er steht mitten im Krankenhaussaal, stützt sich auf seinen Mop und trägt vor.
Tlot-tlot, in frostiger Stille! Tlot-tlot, in nachhallender Nacht!
Näher kam er und näher! Ihr Gesicht war wie Feuer entfacht!
Die Augen sich täten ihr weiten, rasch schöpfte sie Luft voller Not,
Dann ihr Finger sich rührte im Mondlicht,
Ihre Muskete zerstörte das Mondlicht,
Zerstörte die Brust ihr im Mondlicht, ihn warnend – mit ihrem Tod. Ref 27
Er hört den Schuß und entkommt, aber als er im Morgengrauen hört, wie Bess gestorben ist, packt ihn die Wut, und er kehrt zurück, um Rache zu üben, wird dabei aber von den Rotröcken niedergeschossen.
Weinrot war sein Wams, blutrot seine Sporen in der goldenen Mittagshitze,
Als auf der Straße sie schossen ihn nieder, Wie einen Straßenköter ihn nieder.
In seinem Blut lag er dann auf der Straße, und an der Kehle prunkte die Litze.
Seumas wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht und schnieft. Er sagt, es bestand überhaupt kein Anlaß, dich hier nach oben von Patricia weg zu verlegen, wo du noch nicht mal wußtest, was mit dem Wegelagerer und Bess passiert ist. Es ist eine sehr traurige Geschichte, und als ich sie meiner Frau gesagt habe, konnte sie den ganzen Abend nicht aufhören zu weinen, bis wir ins Bett gegangen sind. Sie hat gesagt, es bestand für die Rotrökke überhaupt kein Anlaß, diesen Wegelagerer zu erschießen, sie sind für die Hälfte des Ärgers auf der Welt verantwortlich, und mit den Iren hatten sie auch nie Erbarmen. Also wenn du noch mehr Gedichte kennenlernen möchtest, Frankie, sag mir Bescheid, ich hole sie dann in der Kneipe ab und bringe sie im Kopf hierher.
Das Mädchen mit dem blauen Kleid, das nicht richtig im Kopf ist, sagt eines Tages plötzlich, möchtest du ein Buch zum Lesen? und sie bringt mir Mr. Ernest Bliss und seine erstaunliche Suche nach dem Glück von E. Philips Oppenheim, in dem es ausschließlich um einen Engländer geht, der es satt hat und nicht weiß, was er jeden Tag mit sich anfangen soll, obwohl er so reich ist,
daß er sein Geld nicht zählen kann. Sein Diener bringt ihm Morgenzeitung, Tee, Ei, Toast, Apfelsinenmarmelade, und er sagt, nehmen Sie das wieder mit, das
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