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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Bereichen der Nacht. Sie sagt, es würde einem das Herz brechen, wenn man bedächte, was die Engländer uns angetan haben, daß sie, wenn sie die Braunfäule schon nicht über die Kartoffel gebracht hätten, sie doch auch nicht viel unternommen hätten, um die Kartoffel wieder davon zu befreien. Kein Erbarmen. Überhaupt kein Gefühl für die Menschen, die genau auf dieser Station gestorben sind, Kinder, die hier litten und starben, während die Engländer sich in ihren großen Häusern an Roastbeef gütlich taten und dem allerbesten Wein zusprachen, und kleine Kinder hatten ganz grüne Münder, weil sie versuchten, das Gras auf den Feldern jenseits ihrer Hütten zu essen, Gott segne uns und errette uns und beschütze uns vor zukünftigen Hungersnöten.
    Seumas sagt, das war, wohl wahr, ganz fürchterlich, und er möchte nicht im Dunkeln durch diese Hallen gehen, wenn all die kleinen grünen Münder ihn offen anklaffen. Die Krankenschwester mißt meine Temperatur, ein bißchen gestiegen, schlaf jetzt gut für dich allein, jetzt, wo du weg bist vom Geschwatze mit Patricia Madigan, die nie ein graues Haar kennenlernen wird.

    Sie sieht Seumas an und schüttelt den Kopf, und Seumas schüttelt traurig zurück.
    Krankenschwestern und Nonnen glauben nie, daß man weiß, wovon sie sprechen. Wenn man zehn ist und elf wird, soll man so einfältig sein wie mein Onkel Pat Sheehan, der auf den Kopf gefallen ist. Man kann keine Fragen stellen. Man kann nicht zeigen, daß man verstanden hat, was die Krankenschwester über Patricia Madigan gesagt hat, daß sie sterben wird, und man kann nicht zeigen, daß man um dieses Mädchen weinen möchte, welches einem ein wunderschönes Gedicht beigebracht hat, was aber, sagt die Nonne, ganz schlecht ist.
    Die Krankenschwester sagt Seumas, sie muß jetzt fort, und er soll den Mulm unter meinem Bett wegfegen und auf der Station ein bißchen wischen. Seumas sagt mir, sie ist eine rechte alte Zimtzicke, daß sie zu Schwester Rita gerannt ist und sich über das Gedicht beschwert hat, das von Zimmer zu Zimmer gegangen ist, daß man sich an einem Gedicht nicht anstecken kann, es sei denn, es ist Liebe, haha, und das ist verdammt unwahrscheinlich, wenn man, was? zehn ist und elf wird? So was hat er ja noch nie gehört, ein kleiner Kerl wird nach oben verlegt, weil er ein Gedicht aufgesagt hat, und er hat nicht übel Lust, zum Limerick Leader zu gehen und denen zu sagen, druckt das mal, außer daß er diesen Job hier
hat, und den würde er verlieren, wenn Schwester Rita das rauskriegt. Na ja, Frankie, an einem dieser schönen Tage wirst du sowieso entlassen, und dann kannst du alle Gedichte lesen, die du lesen willst, obwohl, bei Patricia da unten, da weiß ich nicht, bei Patricia weiß ich nicht, Gott helfe uns.
    Zwei Tage später weiß er über Patricia Bescheid, weil sie aus dem Bett aufgestanden ist, um aufs Klo zu gehen, obwohl sie die Bettpfanne hätte benutzen sollen, und dann ist sie zusammengebrochen und auf dem Klo gestorben. Seumas wischt den Fußboden, und er hat Tränen auf den Backen, und er sagt, es ist eine gottverdammte Sauerei, auf dem Klo zu sterben, wenn man als solches so was Liebes ist. Sie hat mir gesagt, es hat ihr leid getan, daß du ihretwegen das Gedicht aufgesagt hast und deshalb aus dem Zimmer verlegt worden bist, Frankie. Sie hat gesagt, es war ihre Schuld.
    War es aber nicht, Seumas.
    Ich weiß, und gesagt hab ich’s ihr auch.
    Patricia ist fort, und ich werde nie erfahren, was dem Wegelagerer und Bess, dem Wirtstöchterlein, passiert ist. Ich frage Seumas, aber er kennt überhaupt keine Gedichte und schon gar keine englischen Gedichte. Er kannte mal ein irisches Gedicht, aber da ging es um Feen, und es kam weit und breit kein Wegelagerer drin vor. Er wird trotzdem die Männer in seiner Stammkneipe
fragen, denn da sagt immer jemand was auf. Will ich nicht bis dahin meine kurze Geschichte Englands lesen und alles über ihre Perfidie herausfinden. Das sagt Seumas, Perfidie, und ich weiß nicht, was es bedeutet, und er weiß nicht, was es bedeutet, aber wenn es etwas ist, was die Engländer machen, muß es gräßlich sein.
    Er kommt dreimal die Woche, um den Fußboden zu wischen, und die Krankenschwester ist jeden Morgen da, um Temperatur und Puls zu messen. Der Arzt hört sich meine Brust mit einem Ding an, das er am Hals hängen hat. Sie sagen alle, und wie geht es unserem kleinen Soldaten heute? Ein Mädchen mit einem blauen Kleid bringt dreimal täglich Mahlzeiten und

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