Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
geleistet haben und ihr Leben für Irland gaben.
Ich kann nicht ewig zu Hause bleiben, und Mam geht mit mir im November in Leamy’s Penne, um mich wieder einzuschulen. Der neue Schulleiter, Mr. O’Halloran, sagt, es tut ihm leid, daß ich mehr als zwei Monate Unterricht verpaßt habe, und ich muß zurück in die fünfte Klasse. Mam sagt, ich bin doch aber bestimmt reif genug für die sechste Klasse. Schließlich, sagt sie, hat er nur ein paar Wochen verpaßt. Mr. O’Halloran sagt, es tut ihm leid, bringen Sie den Jungen nach nebenan zu Mr. O’Dea.
Wir gehen über den Korridor, und ich sage Mam, ich will nicht in die fünfte Klasse gehen. Malachy ist in der Klasse, und ich will nicht in derselben Klasse sein wie mein Bruder, der ein Jahr jünger ist. Ich hatte letztes Jahr Firmung. Er nicht. Ich bin älter. Ich bin zwar nicht mehr größer, weil ich Typhus hatte, aber ich bin älter.
Mam sagt, das bringt dich nicht um.
Ihr ist es egal, und ich werde in dieselbe Klasse wie Malachy gesteckt und weiß, daß alle seine Freunde mich auslachen, weil ich sitzengeblieben bin. Mr. O’Dea setzt mich in die erste Reihe und
sagt mir, ich soll die saure Miene ablegen, sonst bekomme ich das Ende seines Eschenzweiges zu spüren.
Dann geschieht ein Wunder, und das nur wegen des heiligen Franziskus von Assisi, der mein Lieblingsheiliger ist, und wegen unseres Herrn persönlich. An meinem ersten Schultag finde ich einen Penny auf der Straße, und ich will zu Kathleen O’Connell rennen, um mir ein großes Viereck Cleeves’ Karamel zu holen, aber ich kann nicht rennen, weil meine Beine vom Typhus noch zu schwach sind und ich mich manchmal an einer Mauer festhalten muß. Ich brauche das Cleeves’ Karamel ganz dringend, aber genauso dringend muß ich aus der fünften Klasse raus.
Ich weiß, ich muß zur Statue des heiligen Franziskus von Assisi. Er ist der einzige, der zuhören wird, aber er steht am anderen Ende von Limerick, und ich brauche eine Stunde, bis ich das zu Fuß geschafft habe, und zwischendurch setze ich mich immer auf Treppenstufen oder halte mich an Mauern fest. Es kostet einen Penny, eine Kerze anzuzünden, und ich frage mich, ob ich vielleicht einfach die Kerze anzünde und den Penny behalte. Nein, so was merkt der heilige Franziskus. Er liebt den Vogel in der Luft und den Fisch im Bach, aber er ist nicht blöd. Ich zünde die Kerze an, ich knie zu Füßen seines Standbildes nieder, und ich bitte ihn, mich aus der fünften Klasse
rauszuholen, wo ich bei meinem Bruder gelandet bin, der jetzt wahrscheinlich überall in der Gasse damit prahlt, daß sein großer Bruder sitzengeblieben ist. Der heilige Franziskus sagt kein einziges Wort, aber ich weiß, daß er zuhört, und ich weiß, daß er mich aus dieser Klasse rausholen wird. Es ist das mindeste, was er tun könnte, nachdem ich mir die ganze Mühe gemacht habe und zu seiner Statue gekommen bin und auf Treppenstufen gesessen und mich an Mauern festgehalten habe, wo ich doch auch in die Josephskirche hätte gehen und eine Kerze für die Kleine Blume des Allerheiligsten Herzen Jesu persönlich anzünden können. Was hat es denn für einen Sinn, nach ihm benannt zu sein, wenn er mich in meiner Stunde der Not im Stich läßt.
Ich muß in Mr. O’Deas Klasse sitzen und mir den Kathezismus und den ganzen anderen Kram anhören, den er letztes Jahr unterrichtet hat. Ich würde mich gern melden und die Antworten geben, aber er sagt, sei still, laß deinen Bruder antworten. Er stellt ihnen Aufgaben in Mathematik, und ich soll sie korrigieren. Er diktiert ihnen auf irisch, und ich muß korrigieren, was sie geschrieben haben. Dann gibt er mir spezielle Aufsätze auf, und ich muß sie der Klasse vorlesen, um zu zeigen, was ich letztes Jahr alles bei ihm gelernt habe. Er sagt zur Klasse, Frank McCourt wird euch jetzt zeigen, wie gut er in der letzten
Klasse Schreiben gelernt hat. Er wird einen Aufsatz über unsern Herrn schreiben, stimmt’s, McCourt? Er wird uns erzählen, wie es wäre, wenn unser Herr in Limerick aufgewachsen wäre, welches die Erzbruderschaft von der Heiligen Familie hat und welches die heiligste Stadt Irlands ist. Wir wissen, daß unser Herr, wäre er in Limerick aufgewachsen, nie gekreuzigt worden wäre, denn die Menschen von Limerick waren immer gute Katholiken und neigten nicht zu Kreuzigungen. Also, McCourt, du gehst jetzt nach Hause und schreibst diesen Aufsatz und bringst ihn morgen mit.
Dad sagt, Mr. O’Dea hat ja viel Phantasie, aber mußte
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