Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
geholfen hat, die Krise zu überstehen, denn er ist der Schutzheilige der verzweifelten Fälle, und ich war ja tatsächlich ein verzweifelter Fall.
Patricia sagt, sie hat zwei Bücher auf ihrem Nachttisch. Eins ist ein Buch mit Gedichten, und das Buch liebt sie. Das andere ist eine kurze Geschichte Englands, und ob ich die haben möchte? Sie gibt sie Seumas, dem Mann, der jeden Tag die Fußböden wischt, und er bringt es mir. Er sagt, ich darf ja nichts aus einem Diphtheriezimmer in ein Typhuszimmer bringen, wo doch die ganzen Bazillen herumfliegen und sich zwischen den Seiten verstecken, und wenn du jemals zusätzlich zu deinem Typhus auch noch Diphtherie kriegst, wissen sie gleich Bescheid, und ich verliere meinen guten Job und lande auf der Straße, wo ich mit einer Blechtasse in der Hand patriotische Lieder singen muß, was mir allerdings leichtfallen würde, denn es ist noch kein Lied über Irlands Leiden geschrieben worden, das ich nicht kenne, plus noch ein paar Lieder über die Freuden des Whiskeys.
O ja, Roddy McCorley kennt er. Auf der Stelle singt er es mir vor, aber kaum hat er mit der ersten Strophe angefangen, als die Krankenschwester aus Kerry reingerauscht kommt. Was ist denn das, Seumas? Gesinge? Von allen Personen in diesem Krankenhaus sollten Sie die Regeln gegen das Singen am besten kennen. Ich hätte nicht übel Lust, Sie Schwester Rita zu melden.
Ach Gott, tun Sie das nicht, Schwester.
Nun gut, Seumas. Für diesmal werde ich es durchgehen lassen. Sie wissen doch, daß Gesang bei diesen Patienten zum Rückfall führen kann.
Als sie geht, flüstert er, er wird mir ein paar Lieder beibringen, denn Singen ist der beste Zeitvertreib, wenn man ganz allein in einem Typhuszimmer liegt. Er sagt, Patrcia ist ja so ein liebes Mädchen, wie sie ihm oft von ihren Pralinen aus der Schachtel, die ihr ihre Mutter alle vierzehn Tage schickt, abgibt. Er hört mit Wischen auf und ruft Patricia nebenan zu, ich sag grad zu Frankie, was du für ein liebes Mädchen bist, und sie sagt, du bist ein lieber Mann, Seumas. Er lächelt, weil er ein alter Mann von vierzig Jahren ist, und er hatte nie Kinder, außer denen, mit denen er hier im Fieberhospital sprechen kann. Er sagt, hier ist das Buch, Frankie. Ist es nicht sehr schade, daß du, nach allem, was sie uns angetan haben, alles über England lesen mußt, daß keine Geschichte Irlands in diesem Krankenhaus zu haben ist.
Das Buch berichtet mir alles über König Alfred und Wilhelm den Eroberer und alle Könige und Königinnen bis zu Edward, der ewig warten mußte, bis seine Mutter, Victoria, starb, bevor er König werden konnte. In dem Buch steht das allererste Stückchen Shakespeare, das ich je gelesen habe:
Gewicht’ge Umständ haben mich bewogen
Zu glauben, Sire, Ihr seid mein Feind. Ref 24
Der Geschichtsschreiber sagt, dies sagt Katharina, die eine Frau von Heinrich dem Achten ist, zu Kardinal Wolsey, weil der will, daß ihr der Kopf abgeschnitten wird. Ich weiß nicht, was es bedeutet, und es ist mir auch egal, denn es ist Shakespeare, und es ist, als hätte ich Edelsteine im Mund, wenn ich die Worte sage. Mit einem ganzen Buch von Shakespeare könnten sie mich ein Jahr im Krankenhaus behalten.
Patricia sagt, sie weiß nicht, was bewogen heißt, oder gewicht’ge Umständ, und Shakespeare ist ihr egal, sie hat ihr Buch mit Gedichten, und hinter ihrer Wand liest sie mir ein Gedicht über einen Uhu und eine Miezekatze vor, die in einem grünen Boot mit Honig und Geld aufs Meer hinaus, ja hinaus gefahren sind, und der Uhu singt, und es ergibt gar keinen Sinn, und als ich das sage, ist Patricia beleidigt und sagt, das ist das letzte Gedicht, das sie mir jemals vorgelesen
hat. Sie sagt, ich sage ständig die beiden Zeilen von Shakespeare auf, und die ergeben auch keinen Sinn. Seumas hört wieder mit Wischen auf und sagt, wir sollen nicht über Gedichte streiten, denn wir werden noch genug zu streiten haben, wenn wir groß sind und heiraten. Patricia sagt, es tut ihr leid, und mir tut es auch leid, und deshalb liest sie mir einen Teil aus einem anderen Gedicht vor, und das muß ich mir merken, damit ich es ihr frühmorgens oder spätabends, wenn keine Nonnen oder Krankenschwestern in der Nähe sind, wieder aufsagen kann.
Der Wind war ein Strudel von Dunkelheit, die Bäume verschreckte die Bö,
Der Mond, einer Geistergaleone gleich, geworfen auf wolkige See,
Die Straße ein Band nur aus Mondlicht war über dem purpurnen Moor,
Und der Wegelagerer ritt
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