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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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heran – Ritt heran – ritt heran –
    Der Wegelagerer ritt heran zum alten Wirtshaustor.
    Den welschen Dreispitz keck auf der Stirn, am Kinn ein paar seidene Litzen,
    Ein Wämslein fein von claret-rotem Samt und die Hose aus Leder von Kitzen,
    Faltenlos stramm angepaßt, und der Stiefel fast ganz barg das Bein,

    Und so ritt er heran, und er funkelte – Je mehr es dunkelte, funkelte
    Der Griff der Pistole, das Heft des Rapiers – und ein Himmel wie Edelstein. Ref 26
    Ich kann es jeden Tag gar nicht erwarten, daß mich die Ärzte und Krankenschwestern endlich allein lassen, damit ich von Patricia eine neue Strophe lernen kann und herausfinden, was dem Wegelagerer und dem rotlippigen Wirtstöchterlein passiert. Ich liebe das Gedicht, weil es aufregend ist und fast so gut wie meine beiden Zeilen von Shakespeare. Die Rotröcke sind hinter dem Wegelagerer her, weil sie wissen, daß er ihr gesagt hat, im Mondschein werd ich bei dir, Liebste, sein, ob selbst die Höll’ sich in den Weg mir stellt.
    Das würde ich auch gern tun, im Mondschein bei ihr, Patricia, sein, und keinen Fiedlerfurz würde es mich scheren, ob selbst die Höll’ sich in den Weg mir stellt. Gerade will sie die letzten paar Strophen vorlesen, da kommt die Krankenschwester aus Kerry rein und schreit sie an und schreit mich an, ich hab euch doch gesagt, es wird nicht von Zimmer zu Zimmer gesprochen. Diphtherie darf nie mit Typhus sprechen und umgekehrt. Ich habe euch gewarnt. Und sie ruft, Seumas, nehmen Sie den hier mit. Nehmen Sie den Jungen mit. Schwester Rita hat gesagt, noch ein Wort, und er muß nach oben. Wir haben euch
gewarnt, ihr sollt aufhören zu schwatzen, aber ihr habt nicht gehorcht. Nehmen Sie den Jungen, Seumas, nehmen Sie ihn mit.
    Aber aber, Schwester, der ist aber doch gutartig. Es war doch nur ein bißchen Poesie.
    Nehmen Sie diesen Jungen, Seumas, nehmen Sie ihn auf der Stelle mit.
    Er beugt sich über mich und flüstert, ach Gott, tut mir leid, Frankie. Hier ist dein englisches Geschichtsbuch. Er schmuggelt mir das Buch unters Hemd und hebt mich aus dem Bett hoch. Er flüstert, ich sei eine Feder. Ich versuche, Patricia zu sehen, als wir durch ihr Zimmer gehen, aber ich erkenne nur einen verschwommenen dunklen Kopf auf einem Kissen.
    Schwester Rita hält uns auf dem Korridor auf, um mir zu sagen, daß ich für sie eine große Enttäuschung bin, daß sie erwartet hat, ich werde nach dem, was Gott für mich getan hat, ein artiger Junge sein, nach all den Gebeten, die Hunderte von Knaben in der Bruderschaft für mich gesprochen haben, nach all der Pflege und Fürsorge von den Nonnen und Krankenschwestern des Fieberhospitals, nachdem meine Mutter und mein Vater mich besuchen durften, was nur ganz selten erlaubt wird, und das ist nun der Dank, daß ich im Bett liege und alberne Gedichte vorwärts und rückwärts aufsage, noch dazu mit Patricia Madigan, die sehr wohl weiß, daß jede
Unterhaltung zwischen Typhus und Diphtherie streng untersagt ist. Sie sagt, ich werde jetzt jede Menge Zeit haben, um auf der großen Station unterm Dach über meine Sünden nachzudenken, und ich soll Gott um Verzeihung für meinen Ungehorsam bitten, weil ich ein heidnisches englisches Gedicht über einen Dieb zu Pferde und eine Maid mit roten Lippen, die eine schreckliche Sünde begeht, aufgesagt habe, wenn ich hätte beten oder das Leben eines Heiligen lesen sollen. Sie fand, es ist ihre Pflicht, das Gedicht zu lesen, also hat sie es gelesen, und ich wäre gut beraten, dem Priester bei der Beichte davon zu berichten.
    Die Krankenschwester aus Kerry folgt uns die Treppe hinauf und keucht und hält sich am Geländer fest. Sie sagt mir, ich soll mir gar nicht erst einbilden, daß sie jedesmal, wenn ich ein Wehwehchen oder Zipperlein habe, in diesen Teil der Welt gelaufen kommt.
    Zwanzig Betten stehen auf der Station, alle weiß, alle leer. Die Krankenschwester sagt Seumas, er soll mich ganz ans Ende des Saales bringen, in die Ecke an die Wand, damit ich auch ganz bestimmt nicht mit jemandem reden kann, der vielleicht an der Tür vorbeigeht, was sehr unwahrscheinlich ist, weil es auf diesem ganzen Stockwerk keine einzige Seele außer mir gibt. Sie erzählt Seumas, daß dies während der Großen Hungersnot vor langer Zeit die Fieberstation
war, und Gott allein weiß, wie viele hier gestorben sind, die zu spät gebracht wurden und nur noch gewaschen werden konnten, bevor man sie begrub, und es gibt Geschichten von Schreien und Seufzern in den entlegenen

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