Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
unser Herr am Kreuz nicht schon genug leiden, ohne auch noch Limerick aufgehalst zu kriegen, mit der Feuchtigkeit vom Shannon. Er setzt sich seine Mütze auf und macht einen langen Spaziergang, und ich muß alleine über unsern Herrn nachdenken, und ich frage mich, was ich bis morgen schreiben werde.
Am nächsten Tag sagt Mr. O’Dea, also gut, McCourt, lies der Klasse deinen Aufsatz vor.
Der Name meines Aufsatzes lautet
Der Titel, McCourt, der Titel.
Der Titel meines Aufsatzes lautet, Jesus und das Wetter.
Was?
Jesus und das Wetter.
Na gut, lies vor.
Dies ist mein Aufsatz. Ich glaube nicht, Jesus, der unser Herr ist, hätte das Wetter in Limerick gemocht, weil es immer regnet und der Shannon die ganze Stadt feucht hält. Mein Vater sagt, der Shannon ist ein mörderischer Fluß, weil er meine beiden Brüder umgebracht hat. Wenn man Bilder von Jesus sieht, wandert Er immer nur mit einem Laken angezogen im alten Israel herum. Da regnet es nie, und man hört auch nie jemanden husten oder daß er Schwindsucht oder so was in der Art kriegt, und niemand hat Arbeit, weil alle nur herumstehen und Manna essen und mit den Fäusten drohen und zu Kreuzigungen gehen.
Immer wenn Jesus Hunger hatte, brauchte Er nur die Straße weiter zu einem Feigenbaum oder einem Apfelsinenbaum zu gehen und sich satt zu essen. Wenn Er eine Pint wollte, konnte Er mit der Hand über einem großen Glas wedeln, und schon hatte Er die Pint. Oder Er konnte Maria Magdalena und ihre Schwester, Martha, besuchen, und die gaben Ihm Sein Abendmahl und stellten keine dummen Fragen, und dann hat Er sich mit Maria Magdalenas Haaren die Füße waschen und trocknen lassen, während Martha den Abwasch machte, was ich ungerecht finde. Warum soll sie den Abwasch machen, während ihre Schwester mit unserm Herrn tratscht? Es ist gut, daß Jesus beschlossen hat, als Jude in
dieser warmen Gegend geboren zu werden, denn wenn er in Limerick geboren wäre, hätte er sich die Schwindsucht geholt und wäre einen Monat später tot gewesen, und es gäbe keine katholische Kirche, und es gäbe keine Kommunion oder Firmung, und wir müßten den Katechismus nicht lernen und keine Aufsätze über Ihn schreiben. Ende.
Mr. O’Dea ist still und sieht mich seltsam an, und ich mache mir Sorgen, denn wenn er so still ist, bedeutet das, daß jemand leiden muß. Er sagt, McCourt, wer hat diesen Aufsatz geschrieben?
Ich, Sir.
Hat dein Vater diesen Aufsatz geschrieben?
Nein, Sir.
Komm mit, McCourt.
Ich folge ihm zur Tür hinaus, den Korridor entlang bis zur Klasse des Schulleiters. Mr. O’Dea zeigt ihm meinen Aufsatz, und Mr. O’Halloran sieht mich auch so seltsam an. Hast du diesen Aufsatz geschrieben?
Ja, Sir.
Ich werde aus der fünften Klasse herausgenommen und komme in die sechste Klasse zu allen Jungens, die ich kenne, Paddy Clohessy, Fintan Slattery, Frage Quigley, und als an dem Tag die Schule aus ist, muß ich zur Statue des heiligen Franziskus von Assisi, um ihm zu danken, obwohl meine Beine immer noch schwach sind
vom Typhus und ich mich auf Treppenstufen setzen und an Mauern festhalten muß, und ich frage mich, ob es etwas Gutes war, was ich in dem Aufsatz geschrieben habe, oder etwas Schlechtes.
Mr. Thomas L. O’Halloran unterrichtet drei Klassen in einem Klassenzimmer, die sechste, die siebte, die achte. Er hat einen Kopf wie Präsident Roosevelt und trägt eine goldene Brille. Er hat Anzüge an, marineblau oder grau, und eine goldene Uhrkette hängt ihm von Westentasche zu Westentasche quer über den Bauch. Wir nennen ihn Hoppy, weil er ein kurzes Bein hat und beim Gehen hopst. Er weiß, wie wir ihn nennen, und er sagt, ja, ich bin Hoppy, und ich werde euch auf den Kopf hopsen. Er trägt einen langen Stock, einen Zeigestock, und wenn man nicht aufpaßt oder eine dumme Antwort gibt, haut er einem dreimal auf jede Hand, oder er schlägt einem gegen die Kniekehlen. Bei ihm muß man alles auswendig lernen, alles, und deshalb ist er der schwerste Lehrer in der Schule. Er liebt Amerika, und wir müssen alle amerikanischen Staaten in alphabetischer Reihenfolge lernen. Er fertigt zu Hause Tabellen mit irischer Grammatik, irischer Geschichte und Algebra, hängt sie an eine Staffelei, und wir müssen im Sprechchor die Fälle, Konjugationen und Deklinationen des Irischen und berühmte Namen und Schlachten, Regeldetri, rationale Zahlen und Gleichungen aufsagen.
Wir müssen alle wichtigen Daten der irischen Geschichte wissen. Er sagt uns, was wichtig ist und warum.
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