Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
willst du natürlich auch. Siehst aus wie der typische Paddy, der gerade vor Hunger zusammenbricht. Hier. Schinken. Iß.
Äh, danke nein.
Äh, danke nein. Sag das noch einmal, und ich ramme dir den Schinken in den Arsch.
Er winkt mir mit einem Schinkensandwich zu und stopft es mir dann mit dem Handballen in den Mund.
Er bricht auf einem Stuhl zusammen. O Gott, Gott, was soll ich bloß tun? Muß mich erst mal einen Moment ausruhen.
Mir dreht sich der Magen um. Ich renne ans Fenster, stecke den Kopf hinaus und übergebe mich. Er springt von seinem Stuhl auf und stürzt sich auf mich.
Du, du, fahr zur Hölle, du hast dich auf den Rosenbusch meiner Frau erbrochen.
Er schlägt nach mir, verfehlt mich, fällt zu Boden. Ich klettere aus dem Fenster, halte mich am Sims fest. Er ist am Fenster, krallt sich meine Hände. Ich lasse los, falle in den Rosenbusch, in das Schinkensandwich und den Sherry, die ich gerade erbrochen habe. Rosendornen stechen und durchbohren mich, ein Fußknöchel ist verrenkt. Er steht am Fenster und belfert, komm zurück,
du kümmerliches irisches Ferkel. Er wird mich auf dem Postamt melden. Er wirft mir die Whiskeyflasche in den Rücken und bittet, willst du nicht noch eine Stunde mit mir Totenwache halten?
Er beschmeißt mich mit Sherrygläsern, Whiskeygläsern, einer ganzen Garnitur Schinkenstullen, Gegenständen von der Frisierkommode seiner Frau, Puderdosen, Salbentiegel, Bürsten.
Ich klettere auf mein Fahrrad und wackele durch die Straßen von Limerick, schwindlig von Sherry und Schmerz. Mrs. O’Connell fällt über mich her, sieben Telegramme, eine Adresse, und du bleibst den ganzen Tag weg.
Ich hab, ich hab
Du hast, du hast. Besoffen hast du dich. Besoffen bist du jetzt. Mit einer Fahne bis hier. Hoho, wir haben davon gehört. Dieser nette Mann hat angerufen, Mr. Harrington, entzückender Engländer, der sich anhört wie James Mason. Läßt dich ins Haus, damit du ein Gebet für seine arme Frau sprichst, und als nächstes türmst du durchs Fenster, mit dem Sherry und dem Schinken. Deine arme Mutter. Was hat sie da bloß in die Welt gesetzt.
Er hat mich gezwungen, den Schinken zu essen, den Sherry zu trinken.
Dich gezwungen? Jesus, daß ich nicht lache. Dich gezwungen. Mr. Harrington ist ein vornehmer
Engländer, der hat es nicht nötig zu lügen, und deinesgleichen können wir hier auf der Post nicht gebrauchen, Leute, die die Hände nicht vom Schinken und vom Sherry lassen können, also gib deine Posttasche und dein Fahrrad zurück, denn deine Tage auf diesem Postamt sind gezählt.
Aber ich brauche den Job. Ich muß sparen und nach Amerika. Amerika. Ein trauriger Tag für Amerika, an dem es deinesgleichen ins Land läßt.
Ich hinke durch die Straßen von Limerick. Ich würde gern zurückgehen und Mr. Harrington einen Ziegelstein ins Fenster schmeißen. Nein. Respekt vor den Toten. Ich werde über die Sarsfield-Brücke gehen und ans Flußufer, wo ich mich irgendwo in die Büsche legen kann. Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gehen und meiner Mutter sagen soll, daß ich den Job verloren habe. Muß nach Hause. Muß es ihr sagen. Kann nicht die ganze Nacht am Fluß bleiben. Sie würde durchdrehen.
Mam bettelt das Postamt an, sie sollen mich wieder nehmen. Sie sagen nein. So was haben sie ja noch nie gehört. Telegrammjunge als Leichenschänder. Telegrammjunge flieht mit Schinken und Sherry vom Tatort. Nie wieder wird er einen Fuß auf die Schwelle dieses Postamtes setzen. Nein.
Sie läßt den Gemeindepriester einen Brief schreiben. Nehmen Sie den Jungen doch wieder,
schreibt der Gemeindepriester. Sehr gern, Hochwürden, sagt das Postamt. Ich darf bis zu meinem sechzehnten Geburtstag bleiben und keine Minute länger. Außerdem, sagt Mrs. O’Connell, wenn man bedenkt, was die Engländer uns achthundert Jahre lang angetan haben, hat der Mann nicht das Recht, sich wegen dem bißchen Schinken und Sherry zu beklagen. Vergleiche mal ein bißchen Schinken und Sherry mit der Großen Kartoffelhungersnot, und zu welchem Ergebnis kommst du dann? Wenn mein armer Mann noch lebte und ich ihm erzählte, was du getan hast, würde er sagen, du hast eine Lanze gebrochen, Frank McCourt, eine Lanze gebrochen.
Jeden Samstagmorgen schwöre ich, ich werde zur Beichte gehen und dem Priester von den unreinen Handlungen berichten, die ich zu Hause, auf einsamen Trampelpfaden rings um Limerick vor gaffenden Kühen und Schafen und auf den Zinnen von Carrigogunnell vor den Augen der ganzen Welt
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