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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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immer noch viel Zeit, um dorthin zu radeln, mich auf die allerhöchste Mauer zu setzen und den Shannon zu betrachten, wie er auf seinem Weg nach Amerika hinaus zum Atlantik fließt, und von dem Tag zu träumen, an dem ich auch davonsegle.
     
     
    Die Jungs auf dem Postamt sagen mir, ich habe Glück, daß ich das Telegramm für die Familie Carmody zugeteilt gekriegt habe, ein Shilling Trinkgeld, eins der dicksten Trinkgelder, die man in Limerick je kriegen kann. Warum also wird mir das Telegramm zugeteilt? Ich bin der Dienstjüngste. Sie sagen, ja, manchmal macht Theresa Carmody die Tür auf. Sie hat die Schwindsucht,
und sie haben Angst, sich bei ihr anzustecken. Sie ist siebzehn, immer mal wieder in der Lungenheilanstalt, und sie wird nie achtzehn werden. Die Jungs auf dem Postamt sagen, kranke Menschen wie Theresa wissen, daß sie nicht mehr viel Zeit haben, und das macht sie verrückt nach Liebe und Romantik und allem. Und allem. So verändert die Schwindsucht den Menschen, sagen die Jungs auf dem Postamt.
    Ich radle durch nasse Novemberstraßen und denke an diesen Shilling Trinkgeld, und als ich in die Straße von den Carmodys einbiege, rutscht unter mir das Fahrrad weg, und ich glitsche über das Pflaster und zerkratze mir das Gesicht und reiße mir den Handrücken auf. Theresa Carmody öffnet die Tür. Sie hat rotes Haar. Sie hat grüne Augen wie die Felder außerhalb von Limerick. Ihre Wangen sind strahlend rosa, und ihre Haut ist grellweiß. Sie sagt, oh, du bist ja ganz naß und blutest.
    Ich bin mit dem Rad ausgerutscht.
    Komm rein, dann tu ich dir was auf deine Wunden.
    Ich weiß nicht, soll ich da reingehen? Vielleicht kriege ich die Schwindsucht, und das ist dann mein Ende. Ich will aber noch leben, wenn ich fünfzehn bin, und ich will den Shilling Trinkgeld.
    Komm rein. Du holst dir ja noch den Tod da draußen.

    Sie setzt den Kessel für Teewasser auf. Dann tupft sie Jod auf meine Wunden, und ich versuche, ein Mann zu sein und nicht zu wimmern. Sie sagt, du bist ja schon ein richtig großer Mann. Geh in den Salon und trockne dich vor dem Kamin. Sag mal, warum ziehst du nicht auch die Hose aus und hängst sie über den Kaminschirm?
    Ach nein.
    Ach doch.
    Na gut.
    Ich drapiere den Kaminschirm mit meiner Hose. Ich sitze da und beobachte, wie der Dampf sich hebt, und ich beobachte, wie bei mir sich etwas hebt, und ich habe Angst, sie könnte hereinkommen und mich in meiner Aufregung sehen.
    Da ist sie mit einem Teller voll Marmeladenbrot und zwei Tassen Tee. Gott, sagt sie, du bist zwar ein magerer Philipp, aber dafür hast du da einen ziemlichen Lümmel.
    Sie stellt den Teller und die Tassen auf einen Tisch beim Kamin, und da bleiben sie. Mit Daumen und Zeigefinger nimmt sie die Spitze meiner Aufregung und führt mich durchs Zimmer zu einem grünen Sofa an der Wand, und die ganze Zeit ist mein Kopf voller Sünde und Jod und Schwindsuchtangst und dem Shilling Trinkgeld und ihren grünen Augen und sie ist auf dem Sofa hör jetzt nicht auf sonst sterbe ich und sie weint und ich weine weil ich nicht weiß was mit mir geschieht
ob ich mich umbringe wenn ich mir die Schwindsucht von ihrem Munde hole ich reite in den Himmel hinein ich falle von der Klippe und wenn dies eine Sünde ist schert mich das keinen Fiedlerfurz.
    Wir machen es uns noch ein bißchen auf dem Sofa gemütlich, bis sie sagt, mußt du nicht noch mehr Telegramme zustellen? und als wir uns aufsetzen, stößt sie einen kleinen Schrei aus, oh, ich blute.
    Was ist denn mit dir?
    Ich glaube, weil es das erste Mal ist.
    Ich sage ihr, Augenblick. Ich hole die Flasche aus der Küche und spritze ihr ordentlich Jod auf die Verletzung. Sie springt vom Sofa, tanzt im Salon herum wie eine Wilde und rennt in die Küche, um sich mit Wasser abzuspülen. Nachdem sie sich abgetrocknet hat, sagt sie, Gott, du bist aber unschuldig. Man soll doch Jod nicht so auf Mädchen schütten.
    Ich dachte, du hättest dich geschnitten.
    Danach stelle ich noch wochenlang das Telegramm zu. Manchmal haben wir die Aufregung auf dem Sofa, aber es gibt andere Tage, da hat sie den Husten, und man kann ihr die Schwäche ansehen. Sie sagt mir nie, daß sie die Schwäche hat. Sie sagt mir nie, daß sie die Schwindsucht hat. Die Jungs auf dem Postamt sagen, mir geht es doch bestimmt ganz prima mit dem Shilling
Trinkgeld und Theresa Carmody. Nie sage ich ihnen, daß ich den Shilling Trinkgeld nicht mehr nehme. Nie erzähle ich ihnen von dem grünen Sofa und der Aufregung. Nie erzähle

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