Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
ich ihnen von dem Schmerz, der kommt, wenn sie die Tür öffnet und ich ihr die Schwäche ansehen kann, und alles, was ich dann noch will, ist Tee für sie machen und mit ihr auf dem grünen Sofa sitzen und sie in den Armen halten.
Eines Samstags soll ich das Telegramm Theresas Mutter an ihrem Arbeitsplatz bei Woolworth zustellen. Ich versuche, beiläufig zu sein. Mrs. Carmody, ich stelle immer Ihrer, was ist sie? Ihrer Tochter? Theresa? die Telegramme zu.
Ja, sie ist im Krankenhaus.
Ist sie in der Lungenheilanstalt?
Ich habe gesagt, sie ist im Krankenhaus.
Sie ist genau wie jeder in Limerick, schämt sich wegen der Tbc, und sie gibt mir keinen Shilling und auch sonst kein Trinkgeld. Ich fahre zum Lungensanatorium, um Theresa zu sehen. Sie sagen, man muß verwandt sein und man muß erwachsen sein. Ich sage ihnen, ich bin ihr Cousin, und im August werde ich fünfzehn. Sie sagen mir, geh weg. Ich fahre zur Franziskanerkirche, um für Theresa zu beten. Heiliger Franziskus, würdest du bitte mit Gott sprechen. Sag Ihm, es war nicht Theresas Schuld. Ich hätte das Telegramm Samstag um Samstag um Samstag
ablehnen können. Sag Gott, Theresa war nicht verantwortlich für die Aufregung auf dem Sofa, denn die Schwindsucht verändert den Menschen. Es ist sowieso egal, heiliger Franziskus, denn ich liebe Theresa. Ich liebe sie so sehr, wie du einen Vogel oder ein Tier oder einen Fisch liebst, und willst du Gott bitte sagen, Er soll die Schwindsucht wegmachen, dann komme ich nie wieder in ihre Nähe.
Am nächsten Samstag geben sie mir das Telegramm für die Carmodys. Auf der Straße kann ich schon auf halbem Wege sehen, daß die Rolläden heruntergelassen sind. Ich kann den schwarzen Kranz aus Krepp an der Tür sehen. Ich kann die weiß-lila Trauerkarte sehen. Ich kann durch Tür und Wände hindurch sehen, wo Theresa und ich nackt und wild auf das grüne Sofa getaumelt sind, und ich weiß, jetzt ist sie in der Hölle und alles meinetwegen.
Ich schiebe das Telegramm unter der Tür durch und fahre zurück zur Franziskanerkirche, um für die ewige Ruhe von Theresas Seele zu beten. Ich bete zu jeder Statue, zu den bemalten Fenstern, zu den Stationen des Kreuzwegs. Ich schwöre, ich werde ein Leben führen, welches dem Glauben, der Liebe und der Barmherzigkeit geweiht sein wird, der Armut, der Keuschheit und dem Gehorsam.
Am nächsten Tag, Sonntag, gehe ich in vier
Messen. Ich mache die Stationen des Kreuzwegs dreimal. Ich bete den ganzen Tag Rosenkränze. Ich esse und trinke nichts, und wo immer ich ein stilles Fleckchen finde, weine ich und bitte Gott und die Jungfrau Maria, sie sollen Erbarmen haben mit der Seele von Theresa Carmody.
Am Montag folge ich der Beerdigung bis zum Friedhof auf meinem Postfahrrad. Ich stehe etwas vom Grab entfernt hinter einem Baum. Mrs. Carmody weint und stöhnt. Mr. Carmody schnieft und sieht verwirrt aus. Der Priester sagt die lateinischen Gebete auf und besprengt den Sarg mit Weihwasser.
Ich möchte zum Priester gehen, zu Mr. und Mrs. Carmody. Ich möchte ihnen sagen, daß ich es war, der Theresa zur Hölle geschickt hat. Sie können mit mir machen, was sie wollen. Mich beschimpfen. Mich schmähen. Friedhofserde nach mir schmeißen. Aber ich bleibe hinter dem Baum, bis die Trauernden gehen und die Totengräber das Grab zuschaufeln.
Der Frost färbt die frische Erde auf dem Grab schon weiß, und ich denke an Theresa, kalt in dem Sarg, das rote Haar, die grünen Augen. Ich verstehe nicht, was ich empfinde, aber ich weiß, daß ich bei all den Menschen, die in meiner Familie gestorben sind, und bei all den Menschen, die rings um mich her in den Gassen gestorben sind, und bei all den Menschen, die weggegangen
sind, noch nie so einen Schmerz im Herzen hatte, und ich hoffe, ich habe ihn nie wieder.
Es wird dunkel. Ich schiebe mein Fahrrad vom Friedhofsgelände. Ich habe Telegramme zuzustellen.
16
Mrs. O’Connell gibt mir Telegramme, die ich Mr. Harrington, dem Engländer mit der toten Frau, die in Limerick geboren und aufgewachsen ist, zustellen soll. Die Jungs auf dem Postamt sagen, Beileidstelegramme sind Zeitverschwendung. Die Leute weinen und stöhnen einfach vor Kummer, und sie glauben, damit sind sie vom Trinkgeldgeben befreit. Sie werden einen fragen, ob man hereinkommen möchte, um einen letzten Blick auf den Entschlafenen zu werfen und am Bett ein Gebet zu sprechen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn sie einem auch ein Gläschen Sherry und ein Schinkensandwich anbieten
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