Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
gerade noch gewartet, um sich mit nördlichem Akzent was über Christus erzählen zu lassen, und er soll sich sowieso was schämen, daß er mit einem Kind herumzieht wie ein ganz gewöhnlicher Bettler, ein Kesselflikker, ein Abdecker.
Ein paar Ladenbesitzer geben Brot, Kartoffeln, Dosenbohnen, und Dad sagt, jetzt gehen wir nach Hause, und dann kriegt ihr Jungs was zu essen,
aber wir begegnen Onkel Pa Keating, und der sagt zu Dad, es tut ihm alles sehr leid, und ob Dad vielleicht Lust auf eine Pint in der Kneipe hier hat?
Da sitzen dann Männer, und vor ihnen stehen große Gläser mit schwarzem Zeug. Onkel Pa Keating und Dad kriegen auch von dem schwarzen Zeug. Sie heben vorsichtig ihre Gläser und trinken langsam. Auf ihren Lippen ist sahniges weißes Zeug, und das lecken sie mit kleinen Seufzern ab. Onkel Pa besorgt mir eine Flasche Limonade, und Dad gibt mir ein Stück Brot, und ich habe gar keinen Hunger mehr. Trotzdem frage ich mich, wie lange wir hier noch sitzen werden, mit Malachy und Eugene hungrig zu Hause, viele Stunden nach dem Haferschleim, und Eugene hat sowieso nichts gegessen.
Dad und Onkel Pa trinken ihre Gläser mit schwarzem Zeug und dann noch zwei. Onkel Pa sagt, Frankie, dies ist die Pint. Dies ist das wichtigste Nahrungsmittel. Dies ist das Beste für stillende Mütter ebenso wie für solche Personen, die schon lange entwöhnt sind.
Er lacht, und Dad lächelt, und ich lache, weil ich glaube, daß man lachen soll, wenn Onkel Pa etwas sagt. Er lacht nicht, als er den anderen Männern davon erzählt, daß Oliver gestorben ist. Die anderen Männer sehen Dad an und tippen sich an die Mütze. Tut uns ehrlich leid,
Mister, und Sie nehmen doch sicher noch eine Pint.
Dad sagt ja zu den Pints, und bald singt er Roddy McCorley und Kevin Barry und einen Haufen Lieder, die ich noch nie gehört habe, und beweint sein wunderschönes kleines Mädchen Margaret, das in Amerika gestorben ist, und seinen kleinen Jungen Oliver, tot im Städtischen Heimkrankenhaus. Es macht mir Angst, wie er schreit und weint und singt, und ich wäre gern zu Hause bei meinen drei kleinen Brüdern, nein, zwei kleinen Brüdern, und bei meiner Mutter.
Der Mann hinterm Tresen sagt zu Dad, ich glaube, Mister, Sie haben jetzt genug intus. Uns tut ja alles sehr leid, aber Sie müssen jetzt mit dem Kind nach Hause zu seiner Mutter, die sicher mit gebrochenem Herzen am Kamin sitzt.
Dad sagt, nur … nur noch … nur noch eine letzte Pint, ja? und der Mann sagt nein. Dad schüttelt die Faust. Ich habe meinen Beitrag für Irland geleistet, und als der Mann hinter seinem Tresen hervorkommt und Dads Arm nimmt, versucht Dad, ihn wegzuschubsen.
Onkel Pa sagt, komm schon, Malachy, hör auf zu randalieren. Du mußt nach Haus zu Angela. Du hast morgen eine Beerdigung und jetzt wunderbare Kinder, die auf dich warten.
Aber Dad wehrt sich, bis ein paar Männer ihn hinaus in die Dunkelheit stoßen. Onkel Pa
kommt mit der Tasche mit den Nahrungsmitteln herausgestolpert. Los, komm, sagt er. Wir gehen jetzt zu euerm Zimmer.
Dad will noch woanders hingehen, um eine letzte Pint zu trinken, aber Onkel Pa sagt, er hat kein Geld mehr. Dad sagt, er wird allen von seinem Kummer erzählen, und dann geben sie ihm einen aus. Onkel Pa sagt, so was macht man nicht, so was ist erbärmlich, und Dad weint ihm auf die Schulter. Du bist ein guter Freund, sagt er zu Onkel Pa. Und wieder weint er, bis Onkel Pa ihm auf den Rücken klopft. Es ist schrecklich, ganz schrecklich, sagt Onkel Pa, aber mit der Zeit wirst du drüber wegkommen.
Dad richtet sich auf und sieht ihn an. Nie, sagt er. Nie.
Am nächsten Morgen fuhren wir mit einem Pferdewagen zum Krankenhaus.
Sie legten Oliver in eine weiße Kiste, die mit uns auf dem Wagen gekommen war, und wir haben ihn dann zum Friedhof gebracht. Sie haben die weiße Kiste in ein Loch im Boden getan und mit Erde bedeckt. Meine Mutter und Tante Aggie weinten; Oma sah wütend aus; Dad, Onkel Pa Keating und Onkel Pat Sheehan sahen traurig aus, weinten aber nicht, und ich dachte, wenn man ein Mann ist, darf man nur weinen, wenn
man das schwarze Zeug trinkt, welches sie die Pint nennen.
Ich mochte die Dohlen nicht, die auf Bäumen und Grabsteinen hockten, und ich wollte ihnen Oliver nicht überlassen. Ich warf einen Stein nach einer Dohle, die zu Olivers Grab watschelte. Dad sagte, ich soll auf Dohlen nicht mit Steinen schmeißen, sie könnten die Seelen von jemandem sein. Ich wußte nicht, was eine Seele ist, aber ich
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