Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Kathezismus stehen alle Fragen und Antworten, die wir auswendig wissen müssen, bevor wir die hl. Erstkommunion empfangen können. Ältere Jungens
in der fünften Klasse haben den dicken Firmungskathezismus mit dem roten Einband, und der kostet Sixpence. Ich wäre gern groß und wichtig und würde auch gern mit dem roten Firmungskathezismus unterm Arm herumlaufen, aber ich glaube nicht, daß ich lange genug lebe, so wie von mir erwartet wird, daß ich für dies oder jenes sterbe. Ich würde gern fragen, warum es so viele Große gibt, die nicht für Irland oder den Glauben gestorben sind, aber ich weiß, wenn man so eine Frage stellt, gibt es was auf den Kopf, oder man soll spielen gehen.
Es ist sehr praktisch, daß Mikey Molloy um die Ecke von mir wohnt. Er ist elf, er hat Anfälle, und hinter seinem Rücken nennen wir ihn Molloy-der-Anfall. Die Leute in der Gasse sagen, der Anfall ist eine Heimsuchung, und jetzt weiß ich endlich, was Heimsuchung bedeutet. Mikey weiß alles, weil er bei seinen Anfällen Visionen hat und weil er Bücher liest. In der Gasse ist er der Experte für Mädchenkörper-und-Säuisches-im- allgemeinen, und er verspricht, ich werd dir alles sagen, Frankie, wenn du auch elf bist wie ich und nicht mehr so dumm und unwissend.
Es ist gut, daß er Frankie sagt, da weiß ich, daß er mit mir spricht, weil er nämlich schielt und man nie weiß, wen er gerade ansieht. Wenn er
mit Malachy spricht, und ich glaube, er spricht mit mir, wird er vielleicht wütend und kriegt einen Anfall, der ihn hinwegrafft. Er sagt, Schielen ist eine Gabe, weil man wie ein Gott ist, der gleichzeitig in zwei Richtungen blickt, und wenn man zum Beispiel im alten Rom schielte, kriegte man problemlos einen guten Job. Wenn du Bilder von römischen Kaisern betrachtest, wirst du feststellen, daß da immer eine starke Anlage zum Schielen vorhanden ist. Wenn er keinen Anfall hat, sitzt er ganz oben in der Gasse auf der Erde und liest die Bücher, die sein Vater aus der Carnegie-Bücherei mit nach Hause bringt. Seine Mutter sagt, Bücher Bücher Bücher, er verdirbt sich die Augen mit der Leserei, er braucht eine Operation, damit die Augen auf die Reihe kommen, aber wer soll das bezahlen. Sie sagt ihm, wenn er weiter seine Augen so überanstrengt, werden sie ineinanderfließen, bis er nur noch ein Auge in der Mitte des Kopfes hat. Seitdem nennt sein Vater ihn Zyklop, nach dem Einäugigen, der in einer griechischen Geschichte vorkommt. Nora Molloy kennt meine Mutter vom Schlangestehen bei der Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul. Sie sagt Mam, daß Mikey mehr Verstand hat als zwölf Männer, die Pints in einer Kneipe trinken. Er kennt die Namen sämtlicher Päpste von Petrus bis Pius dem Elften. Er ist erst elf, aber er ist schon ein Mann, allerdings, ein Mann. So manche
Woche rettet er die Familie vor dem schieren Verhungern. Er leiht sich einen Handwagen bei Aidan Farrell und klopft in ganz Limerick an die Tür, um zu sehen, ob Leute Kohle oder Torf frei Haus geliefert haben wollen, und dann geht er hinunter in die Dock Road und schleppt riesenhafte Säcke an, einen Zentner oder noch schwerer. Er macht Botengänge für alte Leute, die nicht gehen können, und wenn sie keinen Penny für ihn haben, genügt auch ein Gebet.
Wenn er ein bißchen Geld verdient, gibt er es seiner Mutter, die ihren Mikey liebt. Er ist ihre Welt, ihr Herzblut, ihr Pulsschlag, und wenn ihm je etwas zustoßen solle, kann man sie auch gleich in die Irrenanstalt stecken und den Schlüssel wegschmeißen.
Mikeys Vater, Peter, ist ein großer Weltmeister. Er gewinnt Wetten in den Kneipen, indem er mehr Pints trinkt als irgend jemand sonst. Er geht einfach raus aufs Klo, steckt sich den Finger in den Hals, und alles kommt wieder hoch, so daß er von vorne anfangen kann. Peter ist so ein Weltmeister, daß er auf dem Klo stehen und kotzen kann, ohne den Finger zu benutzen. Er ist so ein Weltmeister, daß man ihm die Finger abhacken könnte, und er würde weitermachen, als wäre nichts. Er gewinnt das ganze Geld, bringt es aber nicht nach Hause. Manchmal ist er wie mein Vater und vertrinkt das Stempelgeld als solches,
und deshalb wird Nora Molloy so oft in die Irrenanstalt gekarrt, außer sich vor Sorge um ihre ausgehungerte Familie. Sie weiß, daß man, solang man in der Anstalt ist, sicher ist vor der Welt und ihren Peinigungen, man kann sowieso nichts machen, man ist geschützt, und Sorgenmachen bringt nichts. Es ist wohlbekannt, daß alle Irren in die
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