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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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sagte, mach dir keine Sorgen, Zyklop. Du hast jede Menge Zeit. Jesus war auch kein ordentlicher Katholik, bevor er beim Letzten Abendmahl Brot und Wein zu sich nahm, und da war er schon dreiunddreißig Jahre alt. Nora Molloy sagte, wirst du wohl aufhören, ihn Zyklop zu nennen? Er hat zwei Augen im Kopf, und er ist kein Grieche. Aber Mikeys Vater, Weltmeister aller Pintstrinker, ist wie mein Onkel Pa Keating, es schert ihn keinen Fiedlerfurz, was die Welt sagt, und so wäre ich auch gern.
    Mikey sagt mir, das Beste an der Erstkommunion
ist die Kollekte. Die Mutter muß einem irgendwie einen neuen Anzug besorgen, damit sie mit dir bei den Nachbarn und Verwandten angeben kann, und sie geben einem Süßigkeiten und Geld, und man kann ins Lyric Cinema gehen und sich Charlie Chaplin ansehen.
    Und was ist mit James Cagney?
    James Cagney kannst du vergessen. Alles nur Gequatsche. Charlie Chaplin ist das einzig Wahre. Aber man muß bei der Kollekte die Mutter dabeihaben. Die Großen in Limerick geben nicht jeder x-beliebigen Rotznase im Erstkommunionsanzug Geld, wenn die Mutter nicht dabei ist.
    Mikey hat an seinem Erstkommunionstag über fünf Shilling eingenommen und so viele Süßigkeiten und Rosinenbrötchen gegessen, daß er sich im Lyric Cinema übergeben hat und von Frank Goggin, dem Eintrittskartenmann, mit einem Tritt rausgeschmissen wurde. Er sagt, das war ihm egal, weil er noch Geld übrig hatte und noch am selben Tag ins Savoy gegangen ist, um sich einen Piratenfilm anzusehen, und da hat er so viel Cadbury-Schokolade gegessen und so viel Limonade getrunken, daß er einen Bauch hatte bis hier. Er kann es gar nicht erwarten, daß endlich Firmung ist, denn dann ist man älter, es gibt wieder eine Kollekte, und die bringt viel mehr Geld als die Erstkommunion. Er wird bis an sein Lebensende ins Kino gehen, sich neben Mädchen
aus dem Gassenviertel setzen und wie ein Experte Säuisches treiben. Er liebt seine Mutter, aber er wird nie heiraten, weil er Angst hat, er kriegt eine Frau, die ständig in die Irrenanstalt eingeliefert und wieder entlassen wird. Wozu soll man heiraten, wenn man im Kino sitzen und mit den Mädchen aus dem Gassenviertel Säuisches treiben kann, denen sowieso egal ist, was man macht, weil sie es mit ihren Brüdern schon mal gemacht haben. Wenn man nicht heiratet, hat man keine Kinder zu Hause, die plärren, sie wollen Tee und Brot, und keuchen, wenn sie den Anfall haben, und mit den Augen über Kreuz in sämtliche Richtungen kucken. Wenn er älter ist, wird er wie sein Vater in die Kneipe gehen, jede Menge Pints trinken, sich den Finger in den Hals stecken, damit es wieder hochkommt, noch mehr Pints trinken, die Wetten gewinnen und das Geld bei seiner Mutter abliefern, damit sie nicht wahnsinnig wird. Er sagt, er ist kein ordentlicher Katholik, und das bedeutet, daß er verdammt ist und tun und lassen kann, was ihm verdammtnochmal paßt.
    Er sagt, ich werde dir mehr erzählen, wenn du groß bist, Frankie. Jetzt bist du noch zu jung und weißt sowieso nicht, wo bei dir vorne und hinten ist.

     
     
    Der Lehrer, Mr. Benson, ist sehr alt. Er brüllt und spuckt uns jeden Tag an. Die Jungens in der ersten Reihe hoffen, daß er keine Krankheiten hat, denn jedermann weiß, daß Spucke alle Krankheiten überträgt, und er könnte nach allen Seiten die Schwindsucht verbreiten. Er sagt uns, wir müssen den Kathechismus rückwärts, vorwärts und seitwärts auswendig können. Wir müssen die Zehn Gebote kennen, die sieben Tugenden – göttlich sowie moralisch –, die sieben Sakramente, die sieben Todsünden. Wir müssen alle Gebete auswendig können, das Ave-Maria, das Vaterunser, das Confiteor, das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Bußgebet, die Litanei unserer Allerheiligsten Jungfrau Maria. Wir müssen sie auf irisch und auf englisch können, und wenn wir ein irisches Wort vergessen und statt dessen ein englisches nehmen, kriegt er einen Wutanfall und schlägt mit dem Stock um sich. Wenn es nach ihm ginge, würden wir unsere Religion auf lateinisch lernen, die Sprache der Heiligen, die mit Gott und Seiner Heiligen Mutter vertraulich verkehrten, die Sprache der frühen Christen, die zusammengepfercht in den Katakomben kauerten und ins Licht traten, um durch Folter und Schwert zu sterben, und in den schäumenden Rachen der ausgehungerten Löwen ihren Atem aushauchten. Irisch ist gut für Patrioten, Englisch für Verräter und Informanten, aber nur Latein gewährt
uns Zugang zum Himmel als solchem.

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