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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Auf lateinisch haben die Märtyrer gebetet, als ihnen die Barbaren die Zehen- und Fingernägel herausrissen und ihnen die Haut stückchenweise abzogen. Er sagt uns, wir sind eine Schande für Irland und dessen lange, traurige Geschichte und daß es uns besser anstünde, in Afrika vor Büschen und Bäumen zu beten. Er sagt uns, bei uns ist sowieso Hopfen und Malz verloren, die schlechteste Klasse, die er je im Erstkommunionsunterricht hatte, aber so wahr Gott die kleinen Äpfel erschuf, so wahr wird er Katholiken aus uns machen, er wird die Faulenzerei aus uns raus- und die göttliche Gnade in uns reinprügeln.
    Brendan Quigley hebt die Hand. Wir nennen ihn Quigley-den-Fragensteller oder einfach nur Frage, weil er andauernd Fragen stellt. Er kann nicht anders. Sir, was ist die göttliche Gnade?
    Der Lehrer rollt die Augen himmelwärts. Jetzt bringt er Quigley bestimmt um. Nein, er bellt ihn an, die göttliche Gnade vergiß mal lieber, Quigley. Die geht dich gar nichts an. Du bist hier, damit du den Katechismus lernst und machst, was dir gesagt wird. Du bist nicht hier, damit du Fragen stellst. Es gibt einfach zu viele Menschen, die unsere Welt durchwandern und Fragen stellen, und genau das hat uns dorthin gebracht, wo wir jetzt leider sind, und wenn ich in dieser Klasse einen Knaben antreffen sollte, welcher Fragen stellt,
dann weiß ich nicht, ob man mich für das, was als nächstes geschieht, wird verantwortlich machen können. Hast du das gehört, Quigley?
    Ja.
    Ja, was?
    Ja, Sir.
    Er fährt mit seiner Ansprache fort. Es gibt Knaben in dieser Klasse, welche die göttliche Gnade nie erfahren werden. Und weshalb nicht? Wegen der Habgier. Ich habe sie gehört, wie sie auf dem Schulhof über den Tag der heiligen Erstkommunion sprachen, den schönsten Tag eures Lebens. Und sprachen sie etwa darüber, daß sie endlich den Leib und das Blut unseres Heilands empfangen werden? O nein. Diese habgierigen kleinen Blagen sprechen über die sogenannte Kollekte, über das Geld, das sie bekommen werden. Sie werden, in ihre kleinen Anzüge gekleidet, von Haus zu Haus ziehen wie die Bettler, und zwar für die Kollekte. Und werden sie irgendeinen Zehnten von diesem Gelde nehmen und ihn den kleinen schwarzen Babys in Afrika zusenden? Werden sie je an diese kleinen Heiden denken, auf ewig der Verdammnis anheimgefallen, weil es ihnen an sowohl der Taufe gebricht als auch dem Wissen um den wahren Glauben? Diese kleinen schwarzen Babys, denen man das Wissen um das Mysterium des Leibes Christi vorenthält? Die Vorhölle ist vollgestopft mit kleinen
schwarzen Babys, und sie fliegen dort durch die Gegend und schreien nach ihren Müttern, weil ihnen niemals die Gnade gewährt werden wird, in der unnennbaren Gegenwart unseres Herrn und der glorreichen Versammlung der Heiligen, Märtyrer und Jungfrauen zu weilen. O nein. In die Lichtspielhäuser rennen unsere Erstkommunionskinder, um sich in jenem Schmutz zu wälzen, wie ihn die Spießgesellen des Satans in Hollywood verbreiten. Stimmt das nicht, McCourt?
    Stimmt, Sir.
    Quigley-der-Fragesteller hebt wieder die Hand. In der Klasse tauschen wir Blicke und überlegen, ob er vielleicht auf Selbstmord aus ist.
    Was sind Spießgesellen, Sir?
    Das Gesicht des Lehrers wird erst weiß, dann rot. Seine Lippen werden zu einem Strich, dann öffnen sie sich, und links und rechts fliegt Spukke. Er läuft zu Frage und zerrt ihn aus der Bank. Er schnaubt und stottert, und seine Spucke fliegt durchs Klassenzimmer. Er prügelt Frage auf die Schultern, den Hintern, die Beine. Er packt ihn beim Kragen und zerrt ihn vor die Klasse. Seht euch dieses Exemplar an, brüllt er.
    Frage zittert und weint. Tut mir leid, Sir. Der Lehrer äfft ihn nach. Tut mir leid, Sir. Was tut dir leid?
    Tut mir leid, daß ich eine Frage gestellt habe. Ich will nie wieder was fragen, Sir.

    Und der Tag, an dem du es doch tust, Quigley, wird der Tag sein, an welchem du dir wünschen wirst, daß Gott dich zu Sich an Seinen Busen nimmt. Was wirst du dir wünschen, Quigley?
    Daß Gott mich zu Sich an Seinen Busen nimmt, Sir.
    Geh zurück an deinen Platz, du Einfaltspinsel, du Omadhaun, du Ding aus dem weit abgelegenen dunklen Winkel eines Sumpfes.
    Er setzt sich, der Stock liegt vor ihm auf dem Pult. Er sagt Frage, er soll das Gewimmer einstellen und ein Mann sein. Wenn er in dieser Klasse auch nur einen einzigen Knaben hört, der dumme Fragen stellt oder wieder von der Kollekte redet, wird er den betreffenden Knaben prügeln, bis das Blut

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