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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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spritzt.
    Was werde ich tun?
    Den betreffenden Knaben prügeln, Sir.
    Bis?
    Bis das Blut spritzt, Sir.
    Nun, Clohessy, wie lautet das sechste Gebot?
    Du sollst nicht ehebrechen.
    Du sollst nicht ehebrechen, was?
    Du sollst nicht ehebrechen, Sir.
    Und was ist Ehebruch, Clohessy?
    Unreine Gedanken, unreine Worte, unreine Taten, Sir.
    Gut, Clohessy. Du bist ein braver Junge. Zwar magst du in der Sir-Abteilung langsam und vergeßlich
sein, zwar mögen deine Füße keine Schuhe zieren, aber beim sechsten Gebot kann dir keiner was vormachen, und das wird dich rein erhalten.
     
     
    Paddy Clohessy hat keinen Schuh am Fuß, seine Mutter rasiert ihm den Kopf, um die Läuse fernzuhalten, seine Augen sind rot, seine Nase immer rotzig. Die wunden Stellen auf seinen Knien heilen nie, weil er immer den Schorf abknibbelt und in den Mund steckt. Seine Kleider sind Lumpen, die er sich mit sechs Brüdern und einer Schwester teilen muß, und wenn er mit einer blutigen Nase oder einem blauen Auge in die Schule kommt, weiß man, daß er morgens eine Schlägerei wegen der Klamotten hatte. Er haßt die Schule. Er ist sieben und wird bald acht, und er ist der größte und älteste Junge in der Klasse, und er kann es gar nicht erwarten, daß er erwachsen ist und vierzehn, damit er durchbrennen und für siebzehn gehalten werden und zur englischen Armee und dann nach Indien kann, wo es schön ist und warm und wo er in einem Zelt wohnen kann, mit einem dunkelhäutigen Mädchen mit dem roten Punkt auf der Stirn, und da liegt er dann und ißt Feigen, das ißt man nämlich in Indien, Feigen, und sie kocht bei Tag und Nacht Curry und macht plonk auf einer Ukulele, und wenn er genug
Geld hat, läßt er die ganze Familie nachkommen, und dann wohnen sie alle in dem Zelt, besonders sein armer Vater, der zu Hause sitzt und große Klumpen Blut hustet wegen der Schwindsucht. Als meine Mutter ihn auf der Straße sieht, sagt sie, wisha, sieh dir das arme Kind an. Ein Gerippe mit Lumpen ist er, und wenn sie einen Film über die Hungersnot drehen wollten, würden sie ihn bestimmt mittenreintun.
    Ich glaube, Paddy mag mich wegen der Rosine, und ich fühle mich ein bißchen schuldig, weil ich nicht von vornherein so großzügig war. Der Lehrer, Mr. Benson, hatte gesagt, die Regierung spendiert uns gratis ein Mittagessen, damit wir nicht bei dem eisigen Wetter nach Hause müssen. Er führte uns in ein kaltes Zimmer in den Verliesen von Leamy’s School, wo die Putzfrau, Nellie Ahearn, 0,3 Liter Milch und ein Rosinenbrötchen an jeden verteilte. Die Milch war in den Flaschen gefroren, und wir mußten sie zwischen unseren Oberschenkeln schmelzen. Die Jungens machten Witze und sagten, die Flaschen würden uns die Dinger abfrieren, und der Lehrer brüllte, noch ein solches Wort, und ich wärme die Flaschen an euren Hinterköpfen an. Wir alle untersuchten unsere Brötchen, aber wir konnten keine Rosinen finden, und Nellie sagte, sie müssen vergessen haben, sie reinzutun, und sie wird den Mann fragen, der sie geliefert hat. Wir suchten
jeden Tag weiter, bis ich zum Schluß in meinem Brötchen eine Rosine fand und in die Luft hielt. Die Jungens fingen an zu murren und sagten, sie wollen auch eine Rosine, und Nellie sagte, es ist nicht ihre Schuld. Sie fragt den Mann noch mal. Jetzt bettelten mich die Jungens um die Rosine an und boten mir alles mögliche dafür, einen Schluck von ihrer Milch, einen Bleistift, ein Schundheft. Toby Mackey sagte, ich kann seine Schwester haben, und Mr. Benson hörte ihn und nahm ihn mit in den Flur und drosch auf ihn ein, bis er laut heulte. Ich hätte die Rosine gern behalten, aber ich sah, wie Paddy Clohessy in der Ecke stand, ohne Schuhe, und das Zimmer war eiskalt, und er zitterte wie ein Hund, den man getreten hat, und getretene Hunde haben mir schon immer leid getan, und deshalb ging ich hin und gab Paddy die Rosine, weil ich nicht wußte, was ich sonst machen soll, und alle Jungens schrien, daß ich blöd bin und ein Scheiß-Schwachkopf und den Tag noch bitter bereuen werde, und nachdem ich Paddy die Rosine gegeben hatte, bekam ich große Sehnsucht nach ihr, aber jetzt war es zu spät, denn er stopfte sie sich direkt in den Mund und schluckte sie hinunter und sah mich an und sagte nichts, und ich sagte mir im stillen, was bist du doch für ein Schwachkopf, daß du deine Rosine verschenkst.
    Mr. Benson sah mich an und sagte nichts, und
Nellie Ahearn sagte, du bist ein toller alter Yankee, Frankie.
    Bald wird der Priester kommen,

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