Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Geht nach Hause.
Abends sitzen drei von uns unter dem Laternenpfahl oben in der Gasse und lesen: Mikey, Malachy und ich. Die Molloys sind wie wir; ihr Vater vertrinkt oft das Stempelgeld oder den Lohn, und dann ist kein Geld für Kerzen oder Paraffinöl da. Mikey liest Bücher, und wir anderen lesen Comics. Sein Vater bringt Bücher aus der Carnegie-Bücherei mit, damit er etwas zu tun hat, wenn er keine Pints trinkt oder sich während der Anstaltsaufenthalte
von Mrs. Molloy um die Familie kümmert. Er läßt Mikey lesen, was er will, und jetzt liest Mikey ein Buch über Cuchulain und redet, als wüßte er alles über ihn. Ich würde ihm gern sagen, daß ich schon alles über Cuchulain wußte, als ich noch keine vier Jahre alt war, daß ich Cuchulain in Dublin gesehen habe, daß Cuchulain nichts dagegen hat, in meinen Träumen vorbeizuschauen. Ich will ihm sagen, er soll nicht weiterreden über Cuchulain, denn der gehört mir, hat schon vor Jahren, als ich noch jung war, mir gehört, aber ich kann nicht, weil Mikey uns eine Geschichte vorliest, von der ich noch nie gehört habe, eine schmutzige Geschichte über Cuchulain, die ich nie meinem Vater oder meiner Mutter erzählen kann, die Geschichte, wie Emer Cuchulains Frau wurde.
Cuchulain wurde allmählich ein alter Mann von einundzwanzig. Er war einsam und wollte heiraten, was ihn schwach machte, sagt Mikey und ihn dann schließlich auch umgebracht hat. Alle Frauen in Irland waren verrückt nach Cuchulain, und alle wollten ihn heiraten. Er sagte, das wäre doch toll, er hätte nichts dagegen, alle Frauen von Irland zu heiraten. Wenn er mit allen Männern von Irland kämpfen konnte, warum konnte er dann nicht auch alle Frauen heiraten? Aber der König, Conor MacNessa, sagte, für dich mag das alles gut und schön sein, Cu,
aber die Männer von Irland wollen in den langen Stunden der Nacht nicht einsam sein. Der König entschied, daß ein Wettkampf stattfinden sollte, damit man sieht, wer Cuchulain heiraten darf, und es sollte ein Pißwettkampf sein. Alle Frauen von Irland versammelten sich auf den Ebenen von Muirthemne, um zu sehen, welche am weitesten pissen konnte, und das war dann Emer. Sie wurde irische Weitpißmeisterin und heiratete Cuchulain, und deshalb nennt man sie bis zum heutigen Tage Emer-mit-der-großen-Blase.
Mikey und Malachy lachen über diese Geschichte, obwohl ich nicht glaube, daß Malachy sie versteht. Er ist jung und hat die hl. Erstkommunion noch weit vor sich, und er lacht nur über das Pißwort. Dann sagt mir Mikey, ich habe eine Sünde begangen, indem ich mir eine Geschichte angehört habe, in der dieses Wort vorkommt, und wenn ich zu meiner ersten Beichte gehe, muß ich das dem Priester sagen. Malachy sagt, stimmt. Pisse ist ein schlimmes Wort, und du mußt es dem Priester sagen, weil es ein Sündenwort ist.
Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wie kann ich zum Priester gehen und ihm bei meiner ersten Beichte diese schreckliche Sache sagen? Alle Jungens wissen, welche Sünden sie beichten werden, so daß sie die hl. Erstkommunion kriegen und die Kollekte veranstalten und James Cagney
sehen und im Lyric Cinema Süßigkeiten und Kekse essen können. Der Lehrer hat uns bei unseren Sünden geholfen, und jeder hat dieselben Sünden. Ich habe meinen Bruder geschlagen. Ich habe gelogen. Ich habe meiner Mutter einen Penny aus dem Portemonnaie gestohlen. Ich war meinen Eltern ungehorsam. Ich habe am Freitag Wurst gegessen.
Aber jetzt habe ich eine Sünde, die sonst keiner hat, und der Priester wird schockiert sein und mich wahrscheinlich aus dem Beichtstuhl zerren, in den Mittelgang und auf die Straße hinaus, und jeder wird erfahren, daß ich mir eine Geschichte angehört habe, in der Cuchulains Frau als irische Weitpißmeisterin vorkommt. Ich werde nie meine hl. Erstkommunion schaffen, und Mütter werden ihre kleinen Kinder hochheben und auf mich zeigen und sagen, sieh dir den an. Der ist wie Mikey Molloy, hat nie seine hl. Erstkommunion geschafft, wandelt im Stande der Sünde einher, hat nie die Kollekte gemacht, hat nie James Cagney gesehen.
Es tut mir leid, daß ich je von der Erstkommunion und der Kollekte gehört habe. Mir ist schlecht, und ich will keinen Tee und kein Brot und gar nichts. Mam sagt zu Dad, es ist seltsam, wenn ein Kind kein Brot und keinen Tee will, und Dad sagt, och, er ist nervös wegen seiner Erstkommunion … Ich möchte zu ihm gehen
und mich auf seinen Schoß setzen und ihm sagen, was Mikey Molloy mir
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