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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Vorfahren ihre Religion wegen eines Tellers protestantischer Suppe während der Großen Kartoffelhungersnot aufgaben, und diese Familien sind für alle Zeiten als Suppenseelen bekannt. Es ist schrecklich, eine Suppenseele zu sein, weil man auf ewig in den Suppenseelenteil der Hölle verbannt ist, aber noch schlimmer ist es, ein Informant zu sein.
Der Lehrer in der Schule hat gesagt, daß jedesmal, wenn die Iren die Engländer gerade in einem fairen Kampf vernichten wollten, ein drekkiger Informant sie betrogen hat. Ein Mann, von dem sich herausstellt, daß er ein Informant ist, verdient, gehängt zu werden oder, noch schlimmer, daß niemand mit ihm spricht.
    In jeder Gasse gibt es immer jemanden, der nicht mit jemandem spricht, oder alle sprechen mit jemandem nicht, oder jemand spricht mit allen nicht. Wenn Leute nicht miteinander sprechen, merkt man das immer daran, wie sie aneinander vorbeigehen. Die Frauen klappen die Nase hoch, machen den Mund klein und wenden sich ab. Wenn die Frau einen Umhang trägt, nimmt sie eine Ecke des Umhangs und wirft ihn sich über die Schulter, als wollte sie sagen, ein Wort oder Blick von dir, du schafsgesichtige Zicke, und ich reiß dir das Antlitz vorne vom Kopf ab.
    Es ist schlimm, wenn Oma nicht mit uns spricht, denn dann können wir nicht zu ihr rennen, wenn wir Zucker oder Tee oder Milch ausborgen müssen. Zu Tante Aggie braucht man gar nicht erst zu gehen. Sie beißt einem nur den Kopf ab. Geht nach Hause, sagt sie, und sagt euerm Vater, er soll mal seinen nördlichen Arsch lüften und sich Arbeit suchen wie die anständigen Männer von Limerick.
    Es heißt, sie ist immer so wütend, weil sie so
rote Haare hat, oder sie hat so rote Haare, weil sie immer so wütend ist.
    Mam ist nett zu Bridey Hannon, die nebenan bei ihren Eltern wohnt.
    Mam und Bridey sprechen die ganze Zeit miteinander. Wenn mein Vater seinen langen Spaziergang macht, kommt Bridey, und sie und Mam sitzen beim Feuer und trinken Tee und rauchen Zigaretten. Wenn Mam nichts im Hause hat, bringt Bridey Tee, Zucker und Milch mit. Manchmal verwenden sie dieselben Teeblätter immer wieder, und dann sagt Mam, der Tee ist suppig, matschig und dick wie Teer.
    Mam und Bridey sitzen so nah am Feuer, daß ihre Schienbeine rot und lila und blau werden. Sie reden stundenlang, und sie flüstern und lachen über geheime Dinge. Die geheimen Dinge sollen wir nicht hören, also sagt sie uns, wir sollen vor die Tür gehen und spielen. Draußen kann es in Strömen regnen, aber Mam sagt, sich regen bringt Segen, und dann sagt sie noch, wenn ihr euern Vater kommen seht, lauft nach Haus und sagt Bescheid.
    Mam sagt zu Bridey, hast du jemals das Gedicht gehört, das jemand über ihn und mich erfunden haben muß?
    Welches Gedicht, Angela?
    Es heißt Der Mann aus dem Norden. Ich habe das Gedicht von Minnie McAdorey in Amerika.

    Ich habe das Gedicht noch nie gehört. Sag’s mir auf.
    Mam sagt das Gedicht auf, aber sie lacht von vorn bis hinten, und ich weiß nicht, warum:
    Er kam schweigend von Norden, und er war hier noch neu,
    Doch die Stimme war freundlich, und das Herz war getreu.
    Aus den Augen blickte nicht Arg, doch Verstand,
    Und so nahm ich den Mann aus dem nördlichen Land.
     
    In Carryowen man fröhlicher feiern kann
    Als vom Lough Neagh mein friedlicher Mann,
    Und ich weiß, daß die Sonne mehr Strahlen ergießt
    Auf den Fluß, der durch meine Heimatstadt fließt.
     
    Doch es gibt keinen – und das sage ich freudigen Sinns –
    Beßren Mann in der ganzen Munster- Provinz,
    Und keine Frau ist in Limerick froher geworden
    Als ich mit meinem Mann aus dem Norden.

     
    Ach, wüßte in Limerick doch jedes Kind,
    Wie lieb und freundlich die Nachbarn hier sind –
    Der Haß wär’ vorbei, es währte der Frieden
    Zwischen dem nördlichen Land und dem Süden. Ref 19
    Sie wiederholt immer die dritte Strophe und lacht dabei so heftig, daß sie weint, und ich weiß nicht, warum. Sie wird völlig hysterisch, wenn sie sagt,
    Und keine Frau ist in Limerick froher geworden
    Als ich mit meinem Mann aus dem Norden.
    Wenn er früher nach Hause kommt und Bridey in der Küche sieht, sagt der Mann aus dem Norden, Tratsch, Tratsch, Tratsch, und bleibt mit der Mütze auf dem Kopf so lange stehen, bis sie geht.
     
     
    Brideys Mutter und andere Leute aus unserer Gasse und auch noch aus anderen Gassen kommen an die Tür und fragen, ob Dad ihnen einen Brief an die Regierung oder an einen Verwandten an einem weit entfernten Ort schreiben will. Er

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