Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
sitzt am Tisch mit seinem Federhalter und seinem Tintenfaß, und wenn die Leute ihm sagen, was er schreiben soll, sagt er, och, das wollt
ihr aber doch gar nicht sagen, und dann schreibt er, was er für richtig hält. Die Leute sagen ihm, das war genau das, was sie eigentlich sagen wollten, daß er großartig mit der englischen Sprache umgehen kann und daß er keine Klaue beim Schreiben hat. Sie bieten ihm Sixpence für seine Mühe an, aber er winkt ab, und sie geben Mam das Geld, weil es unter seiner Würde ist, Sixpence anzunehmen. Wenn die Leute weg sind, nimmt er die Sixpence und schickt mich zu Kathleen O’Connell zum Zigarettenholen.
Oma schläft im ersten Stock in einem großen Bett mit einem Bild des Allerheiligsten Herzens Jesu über ihrem Kopf und einer Statue des Allerheiligsten Herzens auf dem Kaminsims. Eines Tages will sie von Gaslicht auf elektrisches Licht umsteigen, damit sie ewig ein rotes Lämpchen unter der Statue hat. Die Verehrung, die sie für das Allerheiligste Herz hegt, ist die Gasse rauf und runter sowie in den angrenzenden Gassen bekannt.
Onkel Pat schläft in einem kleinen Bett in einer Ecke desselben Zimmers, wo Oma überprüfen kann, daß er zu einer angemessenen Zeit nach Hause kommt und sich beim Bett hinkniet, um seine Gebete zu sprechen. Er mag zwar vielleicht auf den Kopf gefallen sein, er mag zwar nicht lesen und schreiben können, er mag zwar gelegentlich
eine Pint zuviel trinken, aber es gibt keine Entschuldigung dafür, daß er vor dem Schlafengehen seine Gebete nicht spricht.
Onkel Pat sagt Oma, er hat einen Mann kennengelernt, der etwas sucht, wo er wohnen kann, wo er sich morgens und abends waschen kann und zwei Mahlzeiten am Tag kriegt, Mittagessen und Abendbrot. Er heißt Bill Calvin, und er hat einen guten Job im Kalkofen. Er ist ständig mit weißem Kalkstaub bedeckt, aber das ist auf jeden Fall besser als Kohlenstaub. Oma wird ihr Bett aufgeben und in das kleine Zimmer ziehen müssen. Sie wird das Bild mit dem Allerheiligsten Herzen mitnehmen und die Statue dalassen, damit sie über die beiden Männer wacht. Außerdem hat sie in ihrem kleinen Zimmer keinen Platz für die Statue.
Bill Calvin kommt nach der Arbeit, um sich das Zimmer anzusehen. Er ist klein, ganz weiß, und er schnüffelt wie ein Hund. Er fragt Oma, ob es ihr was ausmacht, die Statue da herunterzunehmen, weil er Protestant ist und sonst nicht einschlafen kann. Oma kläfft Onkel Pat an, was ihm einfällt, ihr einen Protestanten ins Haus zu schleppen. Jesus, sagt sie, die Gasse rauf und runter sowie in den angrenzenden Gassen wird es Getratsche geben.
Onkel Pat sagt, er wußte nicht, daß Bill Calvin Protestant ist. Das sieht man doch nicht durch
bloßes Ankucken, wo er noch dazu überall mit Kalk bedeckt ist. Er sieht aus wie ein ganz gewöhnlicher Katholik, und woher soll man denn wissen, daß ein Protestant Kalk schippt.
Bill Calvin sagt, seine arme Frau, die gerade gestorben ist, war katholisch, und bei ihr waren die Wände mit Bildern des Allerheiligsten Herzens und der Jungfrau Maria bedeckt, die ebenfalls ihr Herz vorzeigte. Er hat gar nichts gegen das Allerheiligste Herz als solches, aber der Anblick der Statue wird ihn an seine arme Frau erinnern, und dann wird das Herz ihm schwer.
Oma sagt, na, Gott helfe uns, warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt. Klar kann ich die Statue auf das Fensterbrett in meinem Fenster stellen, dann wird Ihr Herz nicht durch ihren Anblick gepeinigt.
Jeden Vormittag kocht Oma Mittagessen für Bill und bringt es ihm dann zum Kalkofen. Mam will wissen, warum er es nicht morgens mitnehmen kann, und Oma sagt, soll ich etwa im Morgengrauen aufstehen, um dem hohen Herrn Kohl mit Schweinsfüßen zu kochen, damit er das Gericht im Henkelmann mitnehmen kann?
Mam sagt ihr, in einer Woche sind Ferien, und wenn du Frank Sixpence pro Woche gibst, bringt er bestimmt mit Freuden Bill Calvin sein Mittagessen.
Ich will nicht jeden Tag zu Oma müssen. Ich
will Bill Calvin nicht den ganzen Weg die Dock Road entlang sein Mittagessen bringen, aber Mam sagt, die Sixpence können wir gut gebrauchen, und wenn ich das nicht tue, brauche ich mir gar nichts anderes mehr vorzunehmen.
Du bleibst im Haus, sagt sie. Und gehst nicht mit deinen Kumpels spielen.
Oma warnt mich, ich soll den Henkelmann schnurstracks hinbringen und keine Umwege machen und nicht nach links und rechts schauen und nicht mit Dosen Fußball spielen und mir damit vorne die Schuhe ruinieren. Das
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