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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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einen dünnen dunklen Strich – den Schatten der Rakete. Er stürzte in ein Loch, verschwand in der Tiefe, um nach einer Weile wieder auf eine sonnenbeschienene Wolke zu springen, die wie erstarrter goldener Schaum aussah.
    »Sechshundert!«
    In den Wirbel der hemmenden Explosionen mischte sich auf einmal ein anderer Ton und wurde bald so stark, daß er sich deutlich von dem Lärm der Motoren unterschied. Es war ein so scharfes Zischen, daß mir die Ohren davon weh taten. Gleichzeitig begannen die bisher unbeweglich gebliebenen Zeiger der aerodynamischen Instrumente zu zittern, als stünden sie unter Strom. Das Zischen wuchs an und ging in ein scharfes Pfeifen über. Die auseinandergerissene Lufthülle des Planeten heulte auf. Die Wolken fetzten zur Seite.
    »Vierhundertachtzig!«
    Das Dröhnen der Bremsdüsen wurde schwächer. Ich blickte wieder auf den Geschwindigkeitsmesser; wir flogen nur noch acht Sekundenkilometer. Die zunehmende Dichte der Atmosphäre setzte der Rakete einen ständig wachsenden Widerstand entgegen. Die Luft, die sich an den Reibungsflächenverdichtete, ließ das Bild auf den Leuchtschirmen zittern und flimmern. Immer langsamer wurde der Flug. Wieder dröhnte eine Serie von Explosionen. Die Zeiger der aerodynamischen Instrumente, die Dichte, den Druck und die Temperatur der Atmosphäre angaben, schwankten lebhaft hin und her. Unser Raumschiff beschrieb nun, gegen Ende des Fluges, eine ballistische Kurve. Neblige Dunstschichten wurden zerschnitten. Noch immer dieses hohe Pfeifen. Ganz in unserer Nähe flogen zerfallende Federbüsche von Kondensationskristallen vorüber, die im Sonnenlicht wie Silber glänzten. Unter uns standen dichtgeballte, massige Wolkenwände. Wir jagten ihnen mit schreckenerregender Schnelligkeit entgegen. Noch ein Augenblick – und der Leuchtschirm erlosch, wie von dichtem Rauch verhüllt. Die Wolkenherde stob auseinander wie ein Schwarm aufgescheuchter, schwerfälliger, großer Vögel.
    »Dreißig!«
    Dreißig Kilometer – und wir befanden uns bereits in den Wolken! Ungewöhnlich hoch erhoben sie sich über der Venus! Die Atmosphäre war so dicht, daß sogar unsere verhältnismäßig geringe Geschwindigkeit ein durchdringendes Heulen hervorrief, das von den tiefsten vibrierenden Baßtönen bis zu schrillstem Pfeifen anstieg. Die Sicht war gleich Null. Bald tauchten wir in dunkelgelbes Dämmerlicht, bald rasten wir durch milchigen, wogenden Dunst voller Regenbogen. Soltyk schaltete den Fernseher auf das Radargerät um; aber es half nicht viel. Die in die Tiefe gerichteten Kegel der Radarwellen blieben machtlos im Gewirr der Wolken stecken, ohne das Relief des Bodens anzuzeigen. Im Blindflug, nach dem Girokompaß, flogen wir einen großen Bogen um den Planeten. In dem bräunlichgrünen Halbdunkel, das den Leuchtschirm erfüllte, huschten die verschwommenen Umrisse von Wolken vorüber. In ihren Rissen und Spalten zeigten sich die tiefer liegenden Wolkenschichten. Sie reichten bis zum Boden hinab, an dem die Formen zu einem schmutzigen Grau zusammenflossen.
    Der Grundton unserer Fluggeräusche war ein unaufhörliches dumpfes Rauschen. Durch das lange, ständige Starren in den Leuchtschirm wurde ich zeitweilig das Opfer einer Sinnestäuschung. Ich hatte das Empfinden, daß unter uns der Gischt der See brodelte und sich tosend die Wellen brächen.
    Diese Täuschung war nach einer Stunde bereits so stark, daß ich den Blick für eine Weile vom Leuchtschirm abwenden mußte. Soltyk ging immer tiefer. Nur noch achttausend Meter trennten uns von der Oberfläche der Venus. Die Sicht war noch immer gleich Null. Wie die aerometrischen Geräte anzeigten, schwebten kleine feste Teilchen in der Atmosphäre, die wie Radarstörgeräte wirkten. Ich war neugierig, was Soltyk tun würde; doch ich fragte ihn selbstverständlich nicht. Zuerst war ich enttäuscht, dann wurde ich ungeduldig und schließlich wütend. So lange hatte ich darauf gewartet, daß ich mein Flugzeug besteigen könnte, und nun, da dieser Augenblick bevorstand, mußte ich befürchten, in diesen verdammten Wolken die Orientierung zu verlieren!
    Das Bild im Leuchtschirm veränderte sich. Soltyk hatte immer kürzere und intensivere Radarwellen gesendet. Einen Zentimeter, meldete der Wellenmesser, einen halben Zentimeter, drei Millimeter ... Plötzlich verwehten die dichten Wolkenmassen und verschwanden. Ich erblickte die Oberfläche, konnte jedoch nicht viel darauf unterscheiden. Die Unebenheiten und Höcker des Geländes

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