Die Attentaeterin
Worte nicht mehr so sorgfältig wie noch vor drei Tagen. Sie macht spontan Scherze, um mir ein Lächeln zu entlocken, und wenn sie vormittags zum Krankenhaus fährt, schließe ich mich nicht mehr bis zu ihrer Rückkehr in meinem Zimmer ein. Ich habe gelernt, mich ins Freie zu wagen und durch die Straßen zu schlendern. Ab und zu setze ich mich in ein Café, um eine zu rauchen, oder auf eine freie Bank, und beobachte die Kinder, die auf dem Platz in der Sonne spielen. Ich bin noch nicht so weit, eine Zeitung zur Hand zu nehmen, doch ich wechsle während meiner Spaziergänge wenigstens nicht mehr fluchtartig den Gehweg, wenn von irgendwoher aus einem Radio Nachrichten zu hören sind.
Ezra Benhaim kam mich bei Kim besuchen. Wir haben weder von einer eventuellen Wiederaufnahme meiner Arbeit noch von Ilan Ros gesprochen. Ezra wollte nur wissen, wie es mir geht und ob ich mich allmählich wieder erhole. Er hat mich ins Restaurant eingeladen, um mir zu beweisen, dass es ihn nicht stört, sich öffentlich mit mir zu zeigen. Das war zwar ziemlich pathetisch, aber ehrlich gemeint. Ich habe darauf bestanden, die Rechnung zu bezahlen. Nach dem Essen sind wir, da Kim an diesem Abend Nachtdienst hatte, in eine Kneipe gegangen und haben einen draufgemacht.
»Ich muss nach Bethlehem .«
In der Küche hört jäh das Geschirrklappern auf. Kim braucht ein paar Sekunden, dann erscheint ihr Kopf in der Tür. Mit erhobener Augenbraue mustert sie mich.
Ich drücke meine Zigarette im Aschenbecher aus und zünde mir gleich die nächste an.
Kim trocknet sich die Hände ab an einem Geschirrtuch, das an der Wand hängt, und kommt zu mir ins Wohnzimmer.
»Du machst wohl Witze ?«
»Sehe ich so aus, als ob ich Witze machen würde, Kim ?«
Sie zuckt zusammen.
»Natürlich machst du Witze. Was willst du denn in Bethlehem ?«
»Da hat Sihem doch den Brief aufgegeben .«
»Ja und?«
»Ja, und dort will ich herausfinden, was sie trieb in der Zeit, als ich dachte, sie wäre bei ihrer Großmutter in Kafr Kanna .«
Kim lässt sich auf den Korbsessel mir gegenüber fallen, verärgert über meine unberechenbaren Anwandlungen. Sie atmet tief durch, wie um ihren Unwillen zu unterdrücken, kaut auf der Suche nach Worten auf ihren Lippen herum, findet keine Worte und fasst sich mit zwei spitzen Fingern an die Schläfen.
»Langsam rastest du völlig aus, Amin. Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vor sich geht, aber jetzt übertreibst du.
Du hast in Bethlehem überhaupt nichts verloren .«
»Ich habe eine Milchschwester dort. Bestimmt hat Sihem sich zu ihr zurückgezogen, um ihre aberwitzige Mission vorzubereiten. Der Poststempel ist von Freitag, dem 27., genau einen Tag vor der Tragödie. Ich will wissen, wer meine Frau indoktriniert hat, wer sie mit Sprengstoff gespickt und in die Arena geschickt hat. Kommt nicht in Frage, dass ich hier die Arme verschränke oder zur Tagesordnung übergehe, solange ich das nicht geklärt habe .«
Kim rauft sich die Haare.
»Bist du dir eigentlich im Klaren, was du da sagst? Darf ich dich daran erinnern, dass diese Leute Terroristen sind? Die gehen nicht mit Samthandschuhen zu Werke. Du bist Chirurg, kein Polizist. Derlei musst du der Polizei überlassen. Die hat die geeigneten Mittel und entsprechend ausgebildete Leute, um solche Nachforschungen anzustellen. Wenn du wissen willst, was mit deiner Frau passiert ist, dann gehe zu Naveed und erzähle ihm von dem Brief .«
»Das ist reine Privatsache …«
»Unsinn! Siebzehn Menschen wurden getötet und Dutzende verletzt. Was soll daran privat sein? Es handelt sich um ein Selbstmordattentat, und die Aufklärung ist einzig und allein Sache der zuständigen Behörden. Mir scheint, du weißt nicht mehr, was du tust, Amin. Wenn du dich wirklich nützlich machen willst, dann gib Naveed den Brief. Das ist vielleicht der Anfang der Spur, auf den die Polizei nur gewartet hat, um ihren Apparat anzuwerfen .«
»Kommt nicht in Frage. Das hat noch gefehlt, dass ein anderer sich in meine Privatangelegenheiten einmischt. Ich fahre nach Bethlehem, und zwar allein. Ich brauche niemanden. Ich kenne dort ein paar Leute. Vielleicht verplappert sich einer. Oder ich helfe ein wenig nach und kitzle ein paar brauchbare Informationen aus ihm heraus .«
»Ja, und weiter?«
»Was weiter?«
»Nehmen wir einmal an, es gelingt dir tatsächlich, Informationen zu erhalten, was steht dann auf dem Programm? Willst du ihnen die Ohren lang ziehen oder Schadenersatz von ihnen fordern? Das ist
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