Die Attentaeterin
es ihr auszureden, aber sie ist stur geblieben.
Sie hat mir vorgeschlagen, uns fürs Erste in der Zweitwohnung niederzulassen, die ihr Bruder Benjamin sich in Jerusalem gekauft hat, und unser weiteres Vorgehen davon abhängig zu machen, wie sich die Dinge vor Ort entwickeln würden. Ich wollte auf der Stelle aufbrechen. Sie bat mich, sie erst noch einen Patienten operieren zu lassen, bevor sie zu Ezra Benhaim ginge, um ihn zu bitten, ihr eine Woche Urlaub zu bewilligen. Ezra wollte den Grund für diesen überstürzten Aufbruch wissen. Kim antwortete ihm, sie sei ganz einfach erholungsbedürftig. Ezra drang nicht weiter in sie.
Am Morgen nach der Operation verstauen wir unsere beiden Reisetaschen im Kofferraum des Nissan, fahren kurz bei mir vorbei, um ein paar persönliche Dinge und einige Fotos jüngeren Datums von Sihem einzupacken, und brechen dann auf Richtung Jerusalem.
Wir machen unterwegs nur einmal Halt, um in einem Straßenlokal eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen. Das Wetter ist schön, und der Verkehr erinnert an den hochsommerlichen Ansturm der Urlaubermassen.
Wir durchqueren Jerusalem wie in einem Wachtraum. Ich habe die Stadt vor ungefähr zwölf Jahren aus dem Blick verloren. Ihre hektische Betriebsamkeit und das Gewimmel in den Läden lassen in mir Erinnerungen hochsteigen, von denen ich glaubte, mein Gedächtnis hätte sie längst aussortiert. Bilder blitzen in mir auf, leuchtend und grell, wirbeln inmitten der Düfte der Altstadt vor mir her. Hier, zwischen diesen historischen Mauern, habe ich meine Mutter zum letzten Mal gesehen. Sie war gekommen, um am Sterbebett ihres Bruders zu beten. Seine Beerdigung hatte den gesamten Stamm zusammengeführt; manche waren aus so fernen Ländern angereist, dass die Alten dachten, sie kämen aus der Zwischenwelt. Meine Mutter hat den Verlust ihres Bruders, in dem sie ihre einzige Existenzberechtigung sah – da mein Vater ein unaufmerksamer Ehemann gewesen war und ich ein an das Internat und die sich anschließenden Jahre der Wanderschaft verlorener Sohn –, nicht lange überlebt.
Benjamins Zweitwohnsitz liegt am Rand des Jüdischen Viertels zwischen anderen geduckten Bauten mit sonnenverbrannten Mauern. Das Haus scheint der mythischen Stadt den Rücken zu kehren, um sich ganz auf die Obstgärten zu konzentrieren, die sich an den felsigen Hügel entlangziehen. Der Ort ist abgeschieden, fern vom Getümmel der Welt, nur selten dringen plärrende Stimmen von Kindern, die irgendwo spielen, bis hierher durch. Kim findet die Schlüssel unter dem dritten Topf am Eingang des Patio , ganz wie ihr Bruder, der in Tel Aviv geblieben ist, es ihr gesagt hat. Das Haus ist klein und niedrig, mit einer Loggia, die auf einen kleinen schattigen Hof hinausgeht, den eine wenig ausladende Weinlaube fürsorglich behütet. Ein bronzener Brunnenlöwenkopf ragt über einer Wasserrinne aus der Wand, die von Dornenranken zugewuchert ist, daneben steht eine schmiedeeiserne, von ungeschickten Händen grün lackierte Bank. Kim quartiert mich im Nebenraum des vor Büchern und Manuskripten überquellenden Büros ein. Darin befinden sich ein Bettgestell mit Metallfederrost nebst einer Matratze, deren Füllung zu wünschen übrig lässt, ein Formica-Tisch und ein Hocker. Ein abgetretener Teppich gibt sein Bestes, die Risse in den vorsintflutlichen Dielen zu kaschieren. Ich werfe meine Tasche aufs Bett und warte, bis Kim aus dem Badezimmer kommt, um ihr meine Pläne mitzuteilen.
»Ruh dich erst ein wenig aus .«
»Ich bin nicht müde. Es ist Mittag, die richtige Zeit, um bei meiner Milchschwester jemanden anzutreffen. Du brauchst dich nicht zu bemühen, ich nehme ein Taxi .«
»Ich muss doch mitkommen !«
»Kim, ich bitte dich. Wenn ich Probleme bekommen sollte, rufe ich dich auf deinem Handy an und sag dir, wo du mich einsammeln kannst. Aber heute wird sicher nichts passieren. Ich will nur meine Verwandten besuchen und das Terrain ein wenig sondieren .«
Kim sträubt sich noch ein bisschen, dann lässt sie mich ziehen.
Bethlehem hat sich seit meinem letzten Aufenthalt, über zehn Jahre ist das inzwischen her, gewaltig verändert.
Aufgebläht durch die Flüchtlingsströme, die ihre zu Schießplätzen mutierten Landstriche in Scharen verlassen, wartet der Ort mit einem neuen Wirrwarr von Behelfsunterkünften in blankem Betonstein auf, kreuz und quer gegeneinander errichtet, fast wie Barrikaden – die meisten noch im Rohbau, blechbedeckt oder mit hochragenden Moniereisen, dazu hohläugige
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