Die Attentaeterin
anderen steigst. Das Übrige, der Tag davor, der Tag danach, hat für dich nie existiert .«
»Sihem war aber doch so glücklich«, wende ich ein.
»Das glaubten wir alle. Offensichtlich haben wir uns getäuscht .«
Bis tief in die Nacht hinein vergaßen wir uns in dem kleinen Café. Das hat mir erlaubt, mich abzureagieren und den Dampf rauszulassen, der mir im Hirn festsaß. Je länger ich redete, umso mehr schwand meine Aggressivität. Mehr als einmal habe ich aus meinen Augenwinkeln Tränen weggewischt, weil ich ihnen nicht erlauben wollte, sich auszubreiten. Immer, wenn meine Stimme zu beben begann, legte Kims Hand sich aufmunternd auf meine. Naveed war sehr geduldig mit mir. Er hat meine Bösartigkeiten einfach geschluckt und versprochen, mich über den Fortgang der Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten. Wir sind versöhnt auseinander gegangen, enger verbunden denn je.
Kim nimmt mich mit zu sich nach Hause. Wir essen in der Küche ein paar Sandwiches, rauchen im Wohnzimmer Zigarette um Zigarette, plaudern über dies und das, dann verzieht sich jeder in sein Schlafzimmer. Später kommt Kim noch einmal nachsehen, ob es mir auch an nichts fehlt. Bevor sie das Licht löscht, fragt sie unvermittelt, warum ich Naveed nichts von dem Brief erzählt habe.
Ich breite die Arme aus. »Wenn ich das wüsste .«
8.
K im zufolge hat die Direktion für Gesundheit sehr viele Zuschriften meiner ehemaligen Patienten und ihrer Angehörigen erhalten, die alle betonen, dass ich nicht minder Opfer sei als jene, die im Restaurant durch Verschulden meiner Frau umgekommen sind. Das Krankenhaus selbst ist zweigeteilt. Die erste Aufregung hat sich gelegt, und ein Gutteil meiner Widersacher fragt sich inzwischen, ob es wirklich so angebracht war, diese Petitionen gegen mich zu unterzeichnen. Angesichts der Komplexität der Lage haben meine Vorgesetzten sich außerstande erklärt, eine Entscheidung zu fällen , und warten nun auf den Schiedsspruch von ganz oben.
Mein Entschluss freilich steht fest – ich werde keinen Fuß mehr in mein Büro setzen, nicht einmal, um meine persönlichen Dinge abzuholen. Die Intrige, die Ilan Ros gegen mich anzettelte, hat mich tief getroffen. Dabei trage ich meine Religionszugehörigkeit nirgends offen zur Schau. Seit der Universität bin ich bemüht, meinen staatsbürgerlichen Pflichten gewissenhaft nachzukommen. Ich kenne ja die Klischees, denen ich in der Öffentlichkeit begegne, und tue alles, sie eines nach dem anderen auszuhebeln, indem ich stets mein Bestes gebe und die dummen Sprüche meiner jüdischen Kameraden einfach überhöre. Schon als Junge habe ich sehr schnell begriffen, dass es gar nichts bringt, zwischen zwei Stühlen zu sitzen, und man sich schnell für ein Lager entscheiden muss. Ich hab mich für das der Kompetenz entschieden, und zu Verbündeten hab ich mir meine Überzeugungen gewählt, in der Gewissheit, dass ich damit auf Dauer zwangsläufig Respekt ernten würde. Ich denke nicht, auch nur ein Mal gegen die Regeln verstoßen zu haben, die ich mir selbst gegeben habe. Diese Regeln waren mein roter Faden, straff wie ein Seil über den Abgrund gespannt. Für einen Araber, der aus der Reihe tanzte – und sich dazu den Luxus leistete, Jahrgangsbester zu sein –, konnte der kleinste Fehltritt fatale Folgen haben. Vor allem, wenn er Sohn eines Beduinen ist, überhäuft mit Vorurteilen, und, wie der Sträfling die Kugel am Bein, auf Schritt und Tritt diese Karikatur seiner selbst durch ein kleinkariertes, borniertes Umfeld schleppt, das ihn hier zur Sache abstempelt, dort verteufelt und so gut wie immer ausgrenzt. Schon im ersten Jahr auf der Universität wurde mir klar, welch extrem harter Weg mich erwartete und was für gigantische Anstrengungen ich auf mich nehmen müsste, um mir den Status als vollwertiger Bürger zu verdienen. Das Diplom war längst nicht alles, ich musste charmieren und besänftigen, einstecken, ohne auszuteilen, und geduldig sein, bis mir der Atem ausging, um nur nicht das Gesicht zu verlieren. Ohne es zu wollen, ertappte ich mich dabei, dass ich meine Volksgruppe repräsentierte. Bis zu einem gewissen Grad musste ich vor allem für sie erfolgreich sein. Dafür brauchte ich gar kein spezielles Mandat; der Blick der anderen war es, der mir diese undankbare und unloyale Aufgabe quasi von Amts wegen zuschob.
Ich komme aus einem armen, aber würdevollen Milieu, in dem das Ehrenwort und die aufrechte Gesinnung die beiden Quellen des Heils sind. Mein Großvater
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