Die Aufsteigerin
ich gut verstehen. Du hast eine Art an dir, die verprellt nicht nur die Kolleginnen, sondern auch die Gäste. Entweder reißt du dich zusammen, oder unsere Wege müssen sich trennen.«
Alfie, ansonsten als Gabrielle bekannt, gab sich geschlagen und entschloss sich zum würdevollen Rückzug aus dem Schlachtgetümmel. Er riss die übermäßig geschminkten Augen weit auf, täuschte Tränen vor und schüttelte bekümmert den Kopf. Seine lila Lippen bebten, und Desrae schloss verärgert die Augen.
»Damit landest du bei mir nicht, Mädel. Sturzbäche von Tränen kommen bei mir nicht an, okay? Reiß dich zusammen oder zieh ab. Ich kann es mir nicht leisten, dass sich alle meine Mädchen deinetwegen in den Haaren liegen. Wir haben knapp
eine Woche geöffnet, und du machst den Laden hier zum Kriegsschauplatz.«
Alfie gab auf und stöckelte so graziös aus dem kleinen Büro, wie es ein Zweimetermann auf turmhohen Absätzen fertigbringt.
Als er draußen war, lachte Cathy. »Tut mir leid, Desrae, aber dieses Gesicht! Ich mein, du hast dir doch auch fast in die Hosen gemacht, als er sagte, er kann es wegen bestimmter unkontrollierbarer Umstände nur mit Männern treiben, die über eins sechzig groß sind.«
Desrae fiel in Cathys Lachen ein. »Wegen seiner Größe - ich versteh einfach nicht, warum die Langen immer die höchsten Absätze tragen. Darüber staune ich immer wieder. Viele Männer mögen es im Stehen an der Wand. Auch wenn ein Bett im Zimmer ist - so kriegen sie ihn eben besser rein. An die richtig Langen kommt keiner ran, und doch wollen die kleinsten Männer immer die größten Lümmel. Ist doch komisch, das Leben, oder?«
Cathy nickte. Mit dem Liebesleben der Homosexuellen hatte sie nicht die geringsten Probleme, denn es gehörte zu ihrem Alltag. Dank Desraes Boyfriend und Konfident, wie sie Joey nannte, hatten sie kürzlich einen kleinen und exklusiven Club in der Wardour Street eröffnet. Als Fassade diente einer jener Buchläden, die es überall in Soho gab und in denen schmuddelige Sexmagazine legal angeboten wurden, die reißenden Absatz fanden. Die spezielleren Hefte wurden unter dem sprichwörtlichen Ladentisch gehandelt. Wer jedoch durch den Laden in der Wardour Street nach hinten ging, fand zwei große Räume, die als Bar und Treffpunkt für Transvestiten, Transsexuelle und Drag Queens dienten.
Über die feinen Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen war Cathy durch das Zusammenleben mit Desrae bestens aufgeklärt. Die inzwischen 22-Jährige war zu einer bildschönen und selbstsicheren jungen Frau herangewachsen und dank Desrae zum ersten Mal glücklich.
Joey und Desrae waren die Eltern, die sie nie gehabt hatte. Von ihnen wurde sie geliebt und behütet. Desrae umsorgte sie wie eine Glucke, und in ganz Soho scherzte man über ihn und seine Kleine.
Sorgen bereitete ihm einzig und allein, dass Cathy nichts mit Jungen ihres Alters zu tun haben wollte, sondern es vorzog, mit ihm und seinen Busenfreuden zusammen zu sein. Sich derart abzukapseln war bestimmt nicht gut.
Joeys Geschäfte liefen gut. Er hatte den Club hauptsächlich Desrae zu Gefallen gekauft und wusste, dass er etwas draus machen würde. Ein solcher Club wurde in Soho gebraucht, denn nur hier konnten sich Homosexuelle unbehelligt treffen. In Soho waren das Laster, die Prostitution und sämtliche Facetten der Sexindustrie zu Hause - von Büchern und Filmen bis hin zum Menschenhandel. Desrae, der die Brutalität der Prostitution aus bitterer Erfahrung kannte, wollte nichts mehr damit zu tun haben und sah mit Abscheu auf diejenigen hinab, die Kinder auf die Straße schickten.
Sein Club war auf erwachsene Männer zugeschnitten, und die Leute, die dort arbeiteten, waren ebenfalls erwachsene Männer. »Volljährig und attraktiv« war sein Motto.
Das kleine Büro, das sie über dem Sexshop nutzten, strahlte in Desraes schrillen Lieblingsfarben, und Cathy, die sich inzwischen an seine Vorliebe fürs Edelpuffambiente gewöhnt hatte, fand nichts Ungewöhnliches an der knallrosa Velourstapete. Joey hingegen war einmal mit Sonnenbrille ins Büro gekommen und hatte Desrae damit tödlich beleidigt. Seither hatte niemand mehr Scherze über seinen Einrichtungsstil gemacht.
Der Club war ganz in Marineblau und Grau gehalten, mit rosa Akzenten am Teppich und den Sitzbezügen. Die marineblauen Vorhänge waren mit grauen Bordüren abgesetzt und verliehen den Räumen eine gewisse Seriosität. Alle, die dort arbeiteten oder als Gäste kamen,
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