Die Aufsteigerin
glücklich, jemandem zu gehören.
Lee Bonham saß seit über einer Stunde vor dem Sexshop in der Wardour Street und wartete.
Lee war ein kleiner Mann mit flackernden grünen Augen und zottigem schwarzen Haar. Er war immer in Hektik und schien sich von Amphetaminen zu ernähren. Folglich war er klapperdürr und hypernervös. Heute trug er ein T-Shirt, schwarze Jeans und eine lederne Bomberjacke. Für den Job musste er unauffällig gekleidet sein.
Als Auftragskiller gehörte er zu der wachsenden Anzahl von namenlosen und gesichtslosen Männern, die in der Unterwelt von London gutes Geld machten. Die Polizei konnte sie nur schwer ausmachen, weil sie bestens abgeschirmt waren.
Die Abwicklung geschah auf zivilisierte und freundliche Weise. Lee wurde der Name und der Ort mitgeteilt, an dem der Auftrag auszuführen war, und nach getanem Werk holte er sein Geld ab.
Dieser Job brachte zwanzig Riesen, und er wollte ihn so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Er sah, wie seine Zielperson den Shop verließ, und stieg aus dem Ford-Escort-Lieferwagen, in dem er gewartet hatte. Dann überquerte er die verkehrsreiche Straße und ging auf den Mann zu, der sich anschickte, seinen Wagen, einen ziemlich schicken Daimler Sovereign, aufzuschließen.
Lee tippte dem Mann auf die Schulter und jagte ihm in Sekundenschnelle vier Kugeln in die Brust. Er ließ sein sterbendes Opfer behutsam aufs Pflaster gleiten und rannte über die Straße. In allerkürzester Zeit saß er in seinem Lieferwagen und ließ den Schauplatz des Verbrechens hinter sich. Von den vielen Passanten konnte niemand sagen, wie sich die Tat abgespielt hatte oder gar den Täter beschreiben.
Wie gewöhnlich behauptete ein Zeuge, dass es ein Schwarzer gewesen sei.
Polizei und Sanitäter waren Minuten später an Ort und Stelle, und alle wussten, dass ihre Bemühungen nur Zeitverschwendung waren.
Besonders Desrae brauchte Hilfe. Er bekam eine Beruhigungsspritze und wurde in höchster Eile mit einem Krankenwagen fortgebracht. Mit der Jacke über dem Gesicht blieb Joeys Leichnam liegen, bis die Kriminaltechniker von der CID angerückt waren.
Ein Auftragsmord in Soho war ein gefundenes Fressen für alle Medien, und die Polizei wusste, dass sie schwer unter Druck geraten würde. Die Beamten wussten aber auch, dass sie nicht den Hauch einer Chance hatten.
Cathy war gerade aus der Badewanne gestiegen, als es läutete. Sie warf sich ihr weißes Negligé über und eilte zur Tür, ein Lächeln auf dem hübschen Gesicht. Sie erwartete Desrae. Stattdessen stand Tommy Pasquale vor ihr.
»Hallo, Tommy, mit dir hab ich nicht gerechnet …« Er stieß
sie zur Seite und zerrte sie dann ins Wohnzimmer. Bestürzt über seine grobe Art riss sich Cathy los.
»Was ist passiert? Ist Desrae okay?«
Tommy ließ sich aufs Sofa sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Ebenso erstaunt wie entsetzt erkannte Cathy, dass er hemmungslos weinte. Sie kniete sich neben ihn und legte den Arm um seine Schulter. »Tommy, um Gottes willen, sag doch, was los ist.«
»Mein Dad … um meinen Dad geht’s. Er ist ermordet worden. Vor dem Shop in der Wardour Street.«
Cathy war fassungslos. »Bist du sicher?«
»Scheiße, und ob ich sicher bin!« Trotz der Tränen reagierte Tommy aggressiv. »Abgeknallt haben sie ihn wie einen räudigen Hund. Vier verdammte Kugeln haben sie ihm verpasst.« Er verlor alle Beherrschung und schluchzte jämmerlich.
Cathy legte die Hände auf die Lippen, und Tommy hätte sie am liebsten in die Arme genommen. Er brauchte sie jetzt, brauchte sie mehr, als er je einen Menschen gebraucht hatte. Er hatte seinen Vater geliebt und zu ihm aufgeblickt.
»Desrae wird wahnsinnig …« Cathy konnte nur noch flüstern, als sie an den Mann dachte, der Joey von ganzem Herzen geliebt hatte.
»Man hat ihn ruhiggestellt«, sagte Tommy. »Im Moment ist er okay. Aber ich muss es meiner Mutter sagen … Mein Gott, Cathy, wie soll ich’s nur meiner Mutter und meinen Schwestern beibringen?« Der brutale Mann, der knallharte Gangster - verschwunden. Tommy war ein verlorener und einsamer junger Mensch, der einen schweren Verlust betrauerte und sich verzweifelt fragte, wie er den Lebenden die Todesnachricht übermitteln sollte.
Cathy nahm ihn in die Arme und weinte mit ihm. Sie hatte Joey ebenfalls geliebt. Er war so freundlich zu ihr gewesen, hatte sie beschützt und sie darin unterstützt, sich all ihre Träume zu erfüllen.
Als sie spürte, wie sich Tommys Arme um sie legten,
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