Die Aufsteigerin
leben, mit einer normalen Mutter und einem normalen Vater und einem normalen Leben.
Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die Tränen. Eamonn fehlte ihr ganz furchtbar. Die letzten sieben Weihnachtsfeste waren sie zusammen gewesen, zu zweit gegen den Rest der Welt - oder zumindest gegen ihre Eltern. Sie konnte mit allem klarkommen, wenn er an ihrer Seite war. Jetzt hatte man sie getrennt, und sie war nicht sicher, ob sie durchhalten würde. Er war ihr Verbündeter, ihr Bruder, ihr Freund. Eamonn war ihr Ein und Alles.
Sie hörte im Vorderzimmer ein Glas zerbrechen und einen Mann fluchen. Dann wieder lautes Lachen. So würde von jetzt an ihr Leben sein - sie musste es hinnehmen oder den Verstand verlieren.
Es würde wieder so übel sein wie früher: die ständig wechselnden Männer, die prekären Finanzen und die Scheinschwangerschaften, mit denen sich ihre Mutter alle paar Monate plagte. Sie würde Madge anbetteln müssen, um Lebensmittel zu kaufen und die Wohnung zu heizen. Sie würde sich wieder das Stöhnen und Schnarchen von Männern anhören müssen, die sie nie wiedersehen musste, wenn Gott ihr gnädig war. Sie würde ein knarrendes Bett und Zank hören oder ein knarrendes Bett und Gelächter.
Sie schaute sich in dem Zimmer um, das bald ihr nächtliches Gefängnis sein würde, und seufzte betrübt. Zusammen mit ihrer Mutter, dieser verrückten Alkoholikerin, hier zu wohnen, war schlimm genug, aber damit würde sie klarkommen. Doch ohne Eamonn zu sein, war unvorstellbar.
Von jetzt an würde sie ohne Liebe leben müssen.
Der Liebe, die er ihr geschenkt hatte, war zu verdanken, dass sie so lange durchgehalten hatte. Die Liebe ihrer Mutter zählte in diesem Zusammenhang nicht, denn sie war wechselhaft und höchstens dann spürbar, wenn kein Mann auf der Bildfläche war. Bettys kleinliche Eifersucht hatte Cathy hellhörig gemacht, aber insgeheim wusste sie bereits, dass sie jetzt vor der Entscheidung stand. In ein, zwei Jahren würde nichts näherliegen, als den Weg ihrer Mutter und Bettys zu gehen, aber sie war entschlossen, das niemals geschehen zu lassen. Nicht in tausend Jahren. Ihr Leben würde anders verlaufen. Das stand fest.
Schließlich schlief sie ein, Bilder von Eamonn vor Augen, von einem winzigen Reihenhaus voller glänzender Möbel und von sich, im Bauch kleine Arme und Beine, darauf wartend, dass ihr siegreicher Held heimkehrte.
Im Schlaf lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht, und ihre Augenlider
zitterten, als sie vom guten Leben träumte, ihrem anderen Leben. Dem Leben, von dem sie wusste, dass es auf sie wartete.
Eines Tages würde alles wahr werden. Daran musste sie glauben. Denn bis auf ihre Träume besaß Cathy Connor nichts, und niemandem war das schmerzhafter bewusst als ihr selbst.
Kapitel drei
1966
Madge Connor fiel das Atmen schwer. Laut räuspernd richtete sie sich auf, griff nach dem Rum, der vor ihr stand, und leerte das Glas in einem Zug. Der Husten ließ nach, und sie grinste träge, bis sie röchelnd neuen Schleim in den Rachen würgte.
Eine Stimme protestierte laut: »Hör auf damit, Madge, mir wird ganz schlecht.«
Sie spuckte in den Napf neben der Bar und zuckte die Achseln. »Besser raus damit als drinnen lassen.« Sie schwenkte ihr Glas, um einen weiteren doppelten Drink zu ordern, und steckte sich die nächste Zigarette an.
Betty schüttelte den Kopf und stöhnte. »Eines Tages werden die Glimmstängel dich umbringen, Madge Connor.«
»Leck mich doch am Arsch, Bet, und lass uns arbeiten gehen.«
Der Barmann brachte den Drink, und Madge kippte ihn ebenfalls hinunter, ohne abzusetzen. Sie wischte mit dem Handrücken über den Mund und beschmierte sich dabei das Gesicht mit Lippenstift und Speichel.
»Du bist besoffen.«
Madge tat ungläubig überrascht und sagte sarkastisch: »Tatsächlich? Gut, dass du’s mir sagst, alleine wär ich nämlich nie drauf gekommen!«
Betty stöhnte. »Du bist in letzter Zeit immer besoffen. Seit dieser irische Schmarotzer geheiratet hat.« Dann wurde ihre Stimme sanfter. »Komm schon, Madge, gehen wir an die Arbeit, bevor alle Kerle weggeschnappt sind.«
Madge schüttelte den Kopf. »Wozu sich die Mühe machen? Wir verschwenden doch nur unsere Zeit. Merkst du denn nicht, dass wir zu alt sind für diesen Scheiß?«
In ihren wässrigen Augen spiegelte sich ehrliche Überzeugung, und Betty konnte nicht länger hinsehen. Das Schlimme mit Madge war, dass sie die reine Wahrheit sagte, wenn sie getrunken hatte. Und die reine
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