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Die Aufsteigerin

Titel: Die Aufsteigerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Cole
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Dach wohnen. Kein mühseliges Krebsen mehr, keine Gelegenheitsjobs, um sich über Wasser zu halten.
    Wenn alles planmäßig verlief, hatte er den Haupttreffer gelandet. Schmiergeld. Er würde ein echter Ganove sein, und das bedeutete den direkten Weg zu Geld, Autos und Ansehen.
    Heute Nacht würde seine Stunde schlagen, seine Feuertaufe stattfinden. Wenn es doch nur endlich losginge.
    Lange musste er nicht warten. Die Jungs vom South London Verein warteten bereits oben auf dem Embankment.
     
    James Carter war durch und durch ein Junge aus Bermondsey. Ebenfalls irischer Abstammung, hatte er eine Menge mit Eamonn Docherty gemeinsam, wenn auch keiner von beiden es zugeben mochte.
    Mit kalten grünen Augen beobachtete er die Ankunft der anderen Gang, holte seinen Metallkamm hervor und zog ihn sich durchs Haar. Penibel stylte er seine Schmachtlocke und steckte den Kamm wieder ein. Um seine vollen Lippen spielte ein grausames Lächeln, in seiner Jacke verbarg sich ein Rasiermesser. Auf Eamonn Docherty wartete heute Nacht der Schock seines Lebens, und James Carter war der Mann, der ihm diesen Schock versetzen würde.
    Hinter ihm standen seine Jungs wie angewurzelt. Mit starrer Miene. Mit zitternden Händen, nicht vor Angst, sondern vor gespannter Erregung.
    Die East Ender rückten vor und hielten inne. Die Gangmitglieder
beider Seiten nahmen einander ins Visier. Und wie auf ein geheimes Kommando zogen sie allesamt gleichzeitig die Waffen.
    Der Fahrer eines vorbeifahrenden Autos gab Gas und rumpelte Richtung Westminster. Bandenkämpfe gab es häufig, aber es war ungewöhnlich, dass sie an einer öffentlichen Durchgangsstraße stattfanden.
    Am Embankment herrschte um halb zwölf Uhr nachts Ruhe, denn die meisten Nachtschwärmer waren woandershin weitergezogen oder schon heimgegangen. Es war nichts zu hören als das Wasser der Themse, das sanft gegen die schleimiggrüne Mauer schwappte.
    Eamonn tastete nach der Fahrradkette an seinem Hals und dem Totschläger hinten in der Hose. Man wartete geduldig darauf, dass alle sich gerüstet hatten. Das war ungeschriebenes Gesetz. Als das Licht der Straßenlaterne die Waffe aufblitzen ließ, die Eamonn aus der Tasche zog, ging ein Stöhnen durch die Reihen der South Londoner.
    James Carters Stimme war tief und im Tonfall unverkennbar irisch. »Verzieh dich, Docherty. Niemand hier benutzt Schusswaffen.« Obgleich seine Worte kalt und drohend klingen sollten, hörten doch alle die Angst heraus, die in der Stimme mitschwang.
    Und spürten ebendieselbe Angst.
    Eamonn grinste träge und hörte sich gefühllos und erschreckend normal an. »Die Gedanken hättest du dir machen sollen, als ihr den armen Harry zusammengeschlagen habt. Acht gegen einen, hab ich gehört. Also hab ich gedacht, ich gleich das Verhältnis mal wieder aus - für ihn.«
    Der Feuerstoß aus der Waffe überraschte alle. Die Jungs aus East London kniffen vor Schreck die Augen zu, und die aus South London rissen sie weit auf, um zu sehen, ob die Kugel für sie bestimmt war.
    James Carter schien in Zeitlupe aufs Pflaster zu fallen. Sein
halbes Gesicht zerstob in der Luft, Hautfetzen und ein Augapfel spritzten über die Freunde und ließen sie unwillkürlich zurückweichen.
    Eamonns lautes Lachen war für alle deutlich zu hören. Es herrschte fassungsloses Schweigen, und das Entsetzen war beinahe greifbar.
    Beim Anblick des Jungen auf dem Boden kam es Eamonn vor, als sei er selbst von der Kugel getroffen worden. Es schnürte ihm die Brust zusammen, und er rang nach Atem. Das Entsetzen über seine Tat ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Einer der Jungs aus South London kniete sich neben seinen Freund. Er sah das eine leblose Auge und die Körperhaltung des Jungen und richtete den Blick auf Eamonn. Mit Tränen in den Augen und außer sich schrie er ihn an: »Du bist doch völlig irre geworden, Docherty! Er ist Ire wie du. Man schießt nicht auf Menschen, man bringt keine Menschen um …« Seine Stimme verstummte allmählich, und sie hörten in der Ferne die Sirenen von Polizeiwagen.
    Alle machten sich davon. Die Angst verlieh ihnen Flügel.
    Titchy zerrte an Eamonns Jacke. »Komm schon, Eamonn, Old Bill wird gleich hier anrücken. Komm schon, Mann, verdammt!«
    Eamonn reagierte auf die verzweifelte Angst in der Stimme des anderen Jungen. Nach einem letzten Blick auf James Carter drehte er sich um und rannte los. Das Herz hämmerte in seiner Brust, und ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter.
    Er hatte es getan.
    Herrgott,

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