Die Aufsteigerin
die Flittchen. Dankbar sein sollen wir dafür, dass wir ein Dach über dem Kopf haben und genug zu essen. Das hab ich mein Leben lang gehört, zuerst in der Schule und dann auf dem Arbeitsamt. Aber ich will nicht nur genug, ich will von allem mehr als genug. Ich will eine Menge, Cathy … Als meine Mom gestorben ist, musste ich bei ihm bleiben, diesem vermaledeiten Schmarotzer! Verdammt nochmal, die ganze Scheiße und noch mehr hab ich miterleben müssen. Muss damit leben, dass ich alles von ihm weiß und von seinen Eskapaden. Muss mich in Acht nehmen, dass seine neue Frau mich nicht einfach vor die Tür setzt. Muss Nacht für Nacht mit anhören, was sie im Bett treiben. Und dann muss ich mir auch noch sein besoffenes Gelaber antun.«
Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und seufzte, bevor er weitersprach.
»Es gibt keinen anderen Weg als den nach oben, Cath. Und wenn welche wie wir nach oben kommen wollen, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten: gesetzlos oder bei den Soldaten - die Armee, auf die scheiß ich! Wenn’s nach Madge geht, schiebst du
deinen Hintern noch vor Jahresende an die Mauer. Das weißt du so gut wie ich. Ich biete dir einen Ausweg, zusammen mit mir. Ich und du, Mädchen, nur wir beide. Ich bin heute Nacht hergekommen, weil mir kein Mensch so nahesteht wie du. Du bist der einzige Mensch, an dem mir echt etwas liegt. Nicht nur, um mir ein Alibi zu geben. Dafür könnte ich mir jederzeit ein Dutzend Leute holen.«
Er war den Tränen nahe, und Cathy, die sich neben ihn gesetzt hatte, legte den Arm um seine Schultern. Er vergrub das Gesicht an ihrem Hals und ließ sich von ihr festhalten, bis das beschämende Schluchzen verebbt war. Der sechzehnjährige knallharte Mann war im Augenblick nur ein verängstigter Junge. Er wischte sich mit dem Handrücken die Nase und flüsterte: »Ebenso gut hätte ich jetzt tot sein können, Cathy, und das weißt du.«
Sie hielt ihn an sich gedrückt und schloss fest die Augen. Eamonn hatte getan, was er seiner Meinung nach hatte tun müssen, und nichts würde ihn von dieser Überzeugung abbringen.
Als seine Hände zu ihren Brüsten wanderten, leistete sie keinen Widerstand.
Eamonn brauchte sie jetzt, und ganz gleich, was er getan hatte und was sie wirklich dachte, sie hielt zu ihm, und diese Treue war stärker als alles sonst.
Er war doch ihre Stütze. Sie betete ihn an. Ohne ihn besaß sie nichts.
Als sie ihn auf den Kopf küsste und seine tastenden Finger spürte, waren alle Gedanken an James Carter, an Schusswaffen und an Polizisten aus ihrem Kopf verschwunden.
Eamonn brauchte sie.
Das war genug, um den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Kapitel fünf
Eamonn sah seinen Vater an und grinste herausfordernd.
»Du hast es getan, stimmt’s?« Der ältere Mann sprach leise, und seine Stimme klang angespannt.
Eamonn nickte langsam. Aufreizend.
»Und wenn?« In seinem Tonfall mischte sich kindliche Prahlsucht auf seltsame Weise mit männlicher Anmaßung.
Eamonn betrachtete seinen Sohn und spürte, wie sehr er sich zu ihm hingezogen fühlte. Sein Leben lang hatte er nichts und niemanden geliebt außer seinem Kind, seinem Sohn. So schlecht er selbst auch gewesen sein mochte - schlimmere Sünden als Herumhuren und Prügeln hatte er nicht auf dem Gewissen. Sein leiblicher Sohn jedoch war aus anderem Holz geschnitzt.
»Ist dir klar, was du getan hast, Sohn?«
Der Junge zuckte uninteressiert die Achseln.
Die Pranke, die ihn traf und vom Stuhl fegte, kam absolut unerwartet. Als die Schläge auf ihn niederprasselten, krümmte sich der Junge zusammen und rutschte auf dem Fußboden hin und her, um dem Schlimmsten zu entgehen.
Erschöpft hielt Eamonn Docherty schließlich inne und lehnte sich an die Wand des Esszimmers. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Sie werden dich an den Hammelbeinen kriegen, Junge. Was ist bloß mit dir los? Hast du völlig den Verstand verloren, dass du meinst, du könntest mit einem Mord davonkommen?«
Der Junge rappelte sich mühsam auf. Dabei stützte er sich auf
den Mahagonitisch, und wie Schandflecken blieben seine Fingerabdrücke auf dessen gewienerter Oberfläche zurück.
Sie sahen einander an, zwei Männer, die einander nicht trauten.
»Zum letzten Mal hast du deine Hand gegen mich erhoben, Dad. Nochmal, und ich schlag zurück!«
Sie starrten einander in die Augen, gegen den Zorn ankämpfend, der in ihnen brodelte. Doch dann sah Eamonn mit Genugtuung, dass sein Vater den Blick senkte.
»Du bist ein verfluchter
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