Die Aufsteigerin
mit einer grausamen Wut, die sogar sie selbst erstaunt hatte, obwohl sie sich weiß Gott auch schon desselben Verhaltens schuldig gemacht hatte. Mrs. Barton war doppelt gefährlich, weil sie beste Beziehungen hatte. Zu den wichtigsten Leuten. Sie konnte ein Haus über Nacht schließen lassen, wenn es ihr gefiel. Ihre Macht war groß, und sie übte sie skrupellos aus.
Ihr Ehemann war Mr. Justice Barton und ihr Bruder der Regionalleiter der Sozialdienste für London und die umliegenden Grafschaften.
»Ich bin sicher, dass wir sie hier unterbringen können. Und Sie sorgen für die notwendigen Papiere?«, fragte Miss Henley.
Mrs. Barton lächelte zufrieden. »Aber natürlich, meine Liebe. Und darauf noch eine Scheibe Früchtebrot? Haben wir diese Köstlichkeit einem von den Mädchen zu verdanken?«
Froh, ihr Ziel erreicht zu haben, entspannte sie sich. Wie außerordentlich befriedigend es doch war, die Lösung für ein schwieriges Problem zu finden. Davon würde sie später ihrem Ehemann vorschwärmen.
»Ein ausgezeichnetes Arrangement, meine Liebe. Ich meine, ein solches Kind hätte man doch niemals einer netten Familie wie den Hendersons zumuten können, oder?«
Cathy wachte auf dem eiskalten Fußboden auf. Es war stockdunkel, und ein feucht-modriger Geruch hing in der Luft. Ihr fiel ein, wo sie war, und sie riss die Augen weit auf, in der Hoffnung, etwas zu sehen, irgendetwas erkennen zu können, um die pechschwarze Finsternis zu vertreiben. Es war totenstill, und ab und zu war ein leises Scharren zu hören, das von Mäusen verursacht wurde, wie Cathy instinktiv wusste. Die Mäuse machten ihr keine Angst. Sie hatte in ihrem jungen Leben Schlimmeres erdulden müssen.
Der Boden unter ihren Händen war nass, und Cathy setzte sich auf, rutschte blind zu einer Wand, an die sie sich lehnte. Sie hielt die Knie angezogen und die Arme fest um den Oberkörper geschlungen, um sich irgendwie zu wärmen.
Vor ihrem geistigen Auge sah sie noch einmal Rons Leichnam und dann Eamonns Gesicht in dem Moment, als er ihr die Unschuld nahm. Beides vermischte sich in ihrem Kopf, und verzweifelt versuchte sie, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Ihr Herz klopfte viel zu schnell, und sie kämpfte mit aller Kraft gegen das Gefühlschaos an, das in ihr brodelte. Weinen brachte nichts, das wusste sie. Sie musste versuchen, an etwas zu denken, das sie ablenkte, und daher besann sie sich auf ihre Mutter, froh darüber, dass Madge nach all den Jahren tatsächlich etwas für sie getan hatte.
Stumm sprach sie ihr Dank aus, und hier in diesem dunklen Verlies hoffte sie, dass Madge sie vielleicht hören konnte und erfuhr, wie dankbar sie ihr war.
Allein diese Hoffnung bewahrte sie davor, den Verstand zu verlieren.
Erst fünfzehn Stunden später kam Miss Henley auf den Gedanken, Cathy herauszulassen. Nachdem Mrs. Barton gefahren war, hatten sie sich in der Annahme schlafen gelegt, das Mädchen werde sich nach einer Nacht im Ruheraum gefügiger zeigen. Aber am Morgen war es zwischen zwei Insassinnen zu einem
heftigen Streit gekommen, und es wurde früher Nachmittag, bevor man sich an Cathy erinnerte.
Als sie die schwere Tür öffnete, sah Miss Henley mit Erstaunen, dass Cathy ganz ruhig an der Wand saß. Ihre großen blauen Augen blickten leer, aber das war nach der ersten Bekanntschaft mit dem Ruheraum nicht ungewöhnlich, wie Miss Henley sich sagte.
»Hoch mit dir.«
Cathy rappelte sich auf und wartete auf weitere Anweisungen. Die dünne Jacke des Mädchens war von einer grünlichen Schicht Schimmel verfärbt, die von den feuchten Wänden stammte, und ihre Beine waren blau vor Kälte. Sie sagte noch immer kein Wort, folgte nur ihrer Gefängniswärterin aus dem Lagerraum heraus, unbeholfen und steif durch die Kälte und mangelnde Bewegung. In der Küche war es warm, und Cathy bemerkte, dass sie von Zwillingsmädchen misstrauisch beäugt wurde.
»Gebt ihr Tee, Brot und Marmelade. Und dann bringt sie zu mir ins Büro.«
Die Mädchen nickten nacheinander und sahen der Frau hinterher.
Die Zwillinge hatten dickes schwarzes Haar und große braune Augen, und beide wiesen zudem einen kleinen blauen Punkt über dem rechten Wangenknochen auf. Cathy erkannte an diesen sogenannten Borstal-Flecken sofort, wo sie sich befand: in einer Besserungsanstalt für jugendliche Straftäter.
»Ich bin Maureen und sie ist Doreen. Wir sind wegen Brandstiftung hier. Haben unsrer Mom das Haus abgefackelt.« Sie grinsten einander an, als hätten sie einen
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