Die Aufsteigerin
beide jahrelang zusammen waren und ich das Mädchen wie mein eigen Kind gesehen hab. Ich hatte gehofft, hier eine neue Madge Connor vorzufinden. Eine reuevolle Frau, die zu guter Letzt aus ihrem verhunzten Leben doch nochmal etwas Anständiges gemacht hatte. Deswegen bin ich gekommen.« Er sah ihr in die feuchten Augen und hoffte wider besseres Wissen, ein Zeichen von Menschlichkeit darin zu entdecken.
»Nun, dann hast du dich wohl umsonst hierher bequemt, was?« Mit einem verächtlichen Lachen stand Madge auf und servierte ihn ab, indem sie ihm den Rücken zukehrte und nach einer Wärterin verlangte, die sie in ihre Zelle zurückbrachte.
Als er ihr nachsah, staunte er darüber, wie gefühllos sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden geworden war. Sie hatte Angst vorm Gefängnis. Aber wer hatte das nicht? Aber ganz bestimmt musste sie doch einsehen, dass es richtig war, anstelle des Mädchens ins Gefängnis zu gehen.
Ratlos den Kopf schüttelnd angesichts der weiblichen Launenhaftigkeit,
verließ Eamonn Senior das Gefängnis Holloway und steuerte den nächsten Pub an, wo er sich bis zur Besinnungslosigkeit betrank.
Cathy erwachte, als sie die Uferstraße von Deal erreicht hatten. So viele Lichter und das Meer hatte sie noch nie zuvor gesehen, und sie sah eine ganze Zeit staunend um sich, bis ihr plötzlich wieder einfiel, wohin man sie brachte und warum es geschah.
Urlauber spazierten im Regen auf der Promenade, Papiertüten mit Fish & Chips in den Händen. Kleine Kinder tobten um sie herum, spielten Fangen. Juxhüte und riesige rosa Zuckerstangen lockten, wohin man blickte, und die Frauen in ihren bunten Kleidern und mit den modisch zurückgekämmten Haaren sahen ganz wunderbar aus.
Cathy sah einen Mann seine winzige Tochter hochheben und über den Kopf stemmen. Sie nahm auch dessen Frau wahr, die mit beglücktem Gesichtsausdruck zuschaute. Cathy beneidete sie um ihre Freude, die Zufriedenheit und Beständigkeit in ihrem Leben.
Nachdem sie die Uferstraße verlassen hatten, fuhren sie eine lange, kurvenreiche Straße hinauf. Hier und da zeigten sich sehr schöne Häuser mit gepflegten Gärten und teuren Autos auf den Zufahrten. Sie waren strahlend hell erleuchtet und wirkten warm und einladend.
Als sie schließlich in eine kleine Nebenstraße einbogen, regte sich in Cathy eine dunkle Vorahnung.
»Fast da«, sagte Mrs. Barton knapp.
Als sie an einem riesigen schmiedeeisernen Tor angekommen waren, hielt sie an, stieg aus und zog an einem altmodischen langen Glockenseil. Inzwischen war die Kälte auch ins Auto gedrungen, und Cathy fröstelte. Es war eine feuchte Kälte, die durch und durch ging. Im Gegensatz zu den anderen Häusern, an denen sie vorbeigefahren waren, wirkte dieses Gebäude ganz und gar nicht freundlich und einladend, sondern strahlte Kälte
und Feindseligkeit aus. Es hingen keine Gardinen vor den Fenstern, sondern sie waren mit Metallgittern gesichert, und es gab auch keine hübschen Backsteinmauern, sondern nur einen Maschendrahtzaun und Stacheldraht. Man hatte den Eindruck, vor einer Festung zu stehen.
Ein älterer Mann öffnete das Tor. Als sie an ihm vorüberfuhren, spähte er mit wässrigen Augen ins Auto. Ohne sich zu rühren, verfolgte er sie mit Blicken, bis sie um eine Kurve in der Auffahrt verschwunden waren.
Als sie das Haus in seiner ganzen Größe erblickte, bekam Cathy einen furchtbaren Schreck. Es war riesig, ein altes viktorianisches Gebäude, nicht um der Wohnlichkeit willen errichtet, sondern allein, um zu beeindrucken. Als sie ausstiegen, erfasste Cathy ein beißend kalter Windstoß, der durch die geborgte Kleidung bis auf ihre Haut drang.
Die imposante Eingangstür ging auf, um sie einzulassen. In der Halle mit ihrer hohen Decke war es unglaublich kalt. Die Frau, von der sie begrüßt wurden, hatte einen ausladenden Busen und ein Raubvogelgesicht. Von ihrer schnabelförmigen Nase wischte sie mit einem schmutzigen Taschentuch einen Tropfen ab.
»Und wen haben wir da?«
Mrs. Barton reagierte mit einer verächtlichen Geste und stieß die Frau von sich. »Wo ist Miss Henley? Sag ihr, dass ich da bin. Dann nimm das Mädchen hier und gib ihr was zu essen. Und mir bringst du eine Tasse heißen Tee. Ob du dir das wohl alles merken kannst, Deidre?«
»Ja, Mrs. Barton, Ma’am.« Die Frau nickte, und ihre Hakennase bebte vor unterdrückter Empörung.
Sie packte Cathy am Arm und zerrte sie durch die Eingangshalle in ein kleines Büro. Als sie die Tür öffnete, schlug ihnen
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