Die Augen der Medusa
meinen. Gehen Sie jetzt nach Hause! Oder in eine Kneipe. In ein Internetcafé. Sie haben auch mal das Recht auf ein Privatleben. Tun Sie, was Ihnen Spaß macht!«
»Ja, Chef«, sagte Pagliucci. »Sie können sich auf mich verlassen.«
Das war zu hoffen. Genauso, wie zu hoffen war, dass die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von Radio Radicale professionell genug reagierten. Aber schließlich gehörte ziviler Ungehorsam zu den wichtigsten Tugenden der Möchtegern-Bürgerrechtler vom Verein des Marco Pannella. Solange es bei Worten blieb, konnte man damit leben. Die Bilder, die Dynamit waren, besaß ja Canale 5. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht morgen mit dem 17-Uhr-Telegiornale in jedem Wohnzimmer einschlugen wie eine Bombe.
3
Mercoledì, 16 gennaio
Es war 4 Uhr 45, als Costanza Marcantoni aufstand. Sie füllte die Näpfe mit dem letzten Rest Katzenfutter, den sie gefunden hatte, heizte den Kamin an und stellte die Caffettiera über die Gasflamme auf der rechten Seite des Herds. Sobald der Caffè brodelte, nahm sie die Kanne weg und schob über dieselbe Flamme einen Blechtopf, in den sie eine abgemessene Tasse Milch kippte. Sie prüfte die Temperatur mehrmals mit dem kleinen Finger. Als die Milch trinkwarm war, goss sie sie bis auf einen kleinen Rest in die Tasse zurück und füllte mit Espresso auf. Die Cantuccini, die sie hineinstippte, nahm sie direkt aus der Dose.
Nach dem Frühstück machte sich Costanza wie gewohnt ausgehfertig. Sie stieg in ihre Gummistiefel, knöpfte den Mantel zu und legte das schwarze Tuch über die Haare. Erst an der Tür fiel ihr ein, dass ja Krieg herrschte. Sie öffnete einen Spalt und horchte nach draußen in die Dunkelheit. Alles schien ruhig, aber Costanza ließ sich nicht täuschen. Wenn die Deutschen ein fremdes Land besetzten, machten sie das so ordentlich wie alles andere auch. Dann schliefen sie nicht, sondern patrouillierten durch die Gassen, sperrten die Piazza aus wer weiß welch finsteren Gründen und nahmen alle Zivilisten fest, die sich irgendwie verdächtig machten.
Es lebe die Resistenza!, dachte Costanza. Doch es galt, vorsichtig zu sein. Wenn es nicht unbedingt nötig war, würde sie heute aufs Einkaufen verzichten. Sie legte ihr Tuch ab und hängte den Mantel an die Tür. Die Gummistiefel ließ sie vorerst an. Man kam leicht in sie hinein, aber schwer wieder heraus, und vielleicht würde Costanza ja doch aus dem Haus müssen.
In der Vorratskammer war es noch kälter als in den anderen Zimmern. Deswegen befand sich hier ja auch der Kühlschrank, den Costanza mal von Paolo oder Franco oder sonst wem geschenkt bekommen hatte. Seine Tür stand weit offen. Während der Wintermonate schaltete Costanza ihn aus, um Strom zu sparen. Früher war man ganz ohne solche Geräte ausgekommen und hatte trotzdem überlebt. Na ja, im Sommer war es ganz angenehm.
In den Kühlschrankfächern lagerten Zucchini, Stangensellerie, Karotten, Tomaten. Wenn noch irgendwo Kartoffeln zu finden waren, konnte Costanza ein schönes Gemüsesüppchen kochen. Knoblauch wäre auch nicht schlecht. Und ein wenig Peperoncino, damit das Ganze Pepp bekam. Costanza wandte sich zum Regal hin. Da war noch einiges, was sie brauchen konnte. Zwiebeln, Blumenkohl und Erbsen. Nur keine Kartoffeln.
Costanza tastete sich weiter nach hinten und stieß mit dem Fuß gegen etwas am Boden. Ein großer Sack. Wie kam denn der dahin? Sie bückte sich ächzend. Katzenfutter! Gott sei Dank, für die Tiere war gesorgt. Costanza schob den Sack beiseite. Im untersten Regalbrett hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gekramt. Es war voll mit Kanistern, Dosen, Flaschen, deren Aufkleber kaum mehr zu entziffern waren. Costanza drehte einen Verschluss auf. Das roch nach Petroleum. Für die Lampe wahrscheinlich, die sie früher in der Küche stehen hatte. Wo war die eigentlich geblieben? Egal, Petroleum konnte man immer gebrauchen. Zum Beispiel für …, nun, für alles Mögliche. Daneben fanden sich weitere Schätze: Terpentin zum Flecken entfernen, eine Sprühdose Rostlöser, Rizinusöl, destilliertes Wasser fürs Bügeleisen, ein Fläschchen Jod und ein paar andere Tinkturen, die sie auf Anhieb nicht zu bestimmen wusste. Irgendwann würde sie schon dahinterkommen.
Erst einmal wollte Costanza die Suppe kochen. Sie räumte alle Vorräte in die Küche. Neben der Spüle lag noch eineunberührte Zwei-Kilo-Packung Kartoffeln, die sie wahrscheinlich eingekauft hatte, kurz bevor die Deutschen die
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