Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
Vom Netzwerk:
kämpfte sich mit Mühe bis zur Theke durch. Er hätte die Szene von gerade eben erzählen sollen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Vielleicht, weil sie ihn verwirrt hatte und er nicht recht wusste, worauf es dabei ankam. Vielleicht störte ihn auch nur, dass so viele Fremde in der Bar waren. Außerdem konnten sich ja eh bald alle im Fernsehen anschauen, was sich abgespielt hatte. Donato sagte: »Mordsgeschäft heute, was?«
    »Mmh.« Marta Garzone sah nicht von den Schnapsgläsern auf, die sie eng aufgereiht hatte und füllte, ohne die Flasche dazwischen abzusetzen. »Aber dreihundert Euro Reingewinn pro Tag bleiben trotzdem nicht hängen.«
    Marisa war also hier gewesen und hatte sich bei Marta Luft verschafft. Ob die Presseleute davon etwas mitbekommen hatten? Donato sah sich um. Niemand beachtete ihn. Er fragte: »Weißt du, wo meine Frau ist?«
    »Bei Catia Vannoni«, sagte Marta, »aber das hast du nicht von mir. Es würde sowieso nicht schaden, wenn du zumindest so tust, als ob du sie stundenlang gesucht hättest.«
    Donato ging auf schnellstem Weg zu Catia. Auf sein Klopfen öffnete Matteo Vannoni. Marisa saß neben Catia vor dem Fernseher. Donato tat, als sei alles ganz normal, auch wenn er merkte, dass er störte. Als sei er ein Fremdkörper, der wieder verschwinden würde, wenn man ihn nur geflissentlich genug übersah. Donato spürte, dass er sein Hereinplatzen rechtfertigen sollte.
    »Ihr solltet nachher auf Canale 5 umschalten«, sagte er und berichtete, was er vom Schlafzimmerfenster beobachtethatte. Marisa starrte stur aufs Fernsehbild. Matteo Vannoni fragte, ob Donato Minhs Stimme sicher erkannt habe.
    »Ja«, sagte Donato.
    Wie sie denn geklungen habe?
    »Wie immer«, sagte Donato.
    Was das heißen solle? Wie immer? Eine Stimme klinge jedesmal anders, je nachdem, ob man sich gut fühle oder schlecht, ob man verzweifelt sei oder entschlossen oder vielleicht kurz vor dem Durchdrehen stehe. Das schlage doch auf die Lautstärke, die Stimmhöhe, die Modulation durch. Solche Unterschiede könne man keinesfalls überhören. Habe sich Minhs Stimme vielleicht überschlagen? Habe er sich geräuspert, habe er Pausen gemacht, gestottert?
    »Nein«, sagte Donato. »Er redete ganz normal.«
    Matteo Vannoni schüttelte den Kopf. Im Fernsehen lief Werbung für einen Weichspüler. Donato stand neben der Tür, da ihm niemand einen Platz angeboten hatte. Im Raum war es warm. Donato nahm die Hände aus den Manteltaschen und steckte sie, nachdem er nicht wusste, was er mit ihnen anfangen sollte, wieder hinein. Er fragte: »Marisa?«
    Im Fernseher fütterte eine entspannte Mutter ihre glücklichen Kinder mit dem gesündesten Joghurt, den es je gab.
    »Ich habe es schön warm gemacht«, sagte Donato. »Komm nach Hause, Marisa!«
    Eines der glücklichen Fernsehkinder sagte: »Mmmmh, lecker!!«
    »Wir könnten Decken ins Wohnzimmer legen und vor dem Feuer schlafen«, sagte Donato.
    Die Fernsehmutter lächelte, als ihre Kinder johlend in den Sommersonnengarten hinaustobten.
    »Wenigstens du könntest dort schlafen«, sagte Donato. Er hatte ja noch die Badewanne.
    Der Cavaliere wollte nicht. Punktum.
    Dabei war das Bildmaterial aus Montesecco reines Dynamit. Ein gut aussehender junger Polizist, der einem terroristischen Geiselnehmer nackt und unter Lebensgefahr Pizza lieferte. Das hatte es in sich, das bot alles, Hochspannung, politische Relevanz, identifikationsfördernde Alltagsnähe bei gleichzeitig sensationellem kriminellem Hintergrund, eine für die Abendnachrichten vertretbare Prise Sex und genau das Maß an Irrwitz, das die Zuschauer vergessen ließ, dass man mit einer Fernbedienung zappen konnte. Die Szene würde Männer wie Frauen ansprechen, dumpfe Voyeure, Hobbykriminalisten und Verschwörungstheoretiker, ja selbst abgehobene Kulturkritiker. Und das Beste war, dass Canale 5 die Bilder exklusiv hatte. Doch der Sender war Teil der Mediaset-Gruppe, die sich wiederum mehrheitlich im Besitz der Fininvest-Holding befand. Wie undurchsichtig die Beteiligungen bei Fininvest auch sein mochten, für niemanden stand in Frage, dass der Konzern dem Cavaliere gehörte. Und der wollte nicht. Punktum.
    Wahrscheinlich hatten sie zu gut gearbeitet. Die Bilder waren gestochen scharf. Die Geisel, die die Pizzakartons ins Haus geholt hatte, war schnell identifiziert gewesen. Ein gewisser Roberto Russo, Ispettore der Polizia di Stato, der von seiner Dienststelle in Catania direkt ins Innenministerium abgeordnet worden war, weil er

Weitere Kostenlose Bücher