Die Augen der Medusa
hatte mitgehen lassen. Irgendwo habe er auch ein paar Sprengpatronen aus der Mine von Cabernardi, aber ob die nach gut fünfzig Jahren noch funktionierten, wisse er nicht. Außerdem wäre der Krach unter den gegebenen Umständen wohl ein wenig zu auffällig.
»Still!«, befahl Vannoni. Draußen näherte sich ein Trupp Staatspolizisten. Einer lief vorneweg und vier weitere paarweise hinterher. Alle waren dick vermummt. Ihre Maschinenpistolen zeigten fast im selben Winkel schräg nach unten. Es wirkte wie eine Szene aus einem alten Kriegsfilm in Schwarzweiß.
Franco trat zu Vannoni ans Fenster. Er blickte auf seine Uhr und flüsterte: »Wie ich gesagt habe, acht Minuten!«
Dann ging er zum Tisch zurück, griff sich den größeren der beiden Vorschlaghämmer und sagte: »Dann wollen wir mal, Genossen!«
Milena Angiolini und Mamadou waren sofort dabei. Sie beklagten sich nicht einmal, dass sie ihren ältesten Sohn Davide wecken mussten. Das ging eben nicht anders, denn die Wand, die man zu den Deutschen hinüber durchbrechen wollte, befand sich in seinem Kinderzimmer. Kurz darauf wachten Joel und Jennifer, die im oberen Stock schliefen, ebenfalls auf. Sie quengelten erst ein wenig, beruhigten sich aber schnell, als Milena ihnen in der Küche einen warmen Kakao und Tenerezze mit Apfelfüllung hinstellte. Davide sah skeptisch zu, wie Mamadou und Vannoni sein Bett zur Seite rückten und die darüber angepinnten Dinosaurierposter abhängten, fand aber die Idee, ein Loch in die Wand zu schlagen, höchst interessant. Bevor es losging, erschloss Franco Marcantoni aus der Lage der Steckdosen, wo die Stromleitungen liefen. Dann zeichnete er mit Bleistift die geplante Durchbruchstelle an. Vannoni hatte schon den Pickel in der Hand, doch Franco hieß ihn noch einen Moment warten.
»Erst sollten wir Milena und Mamadou gratulieren«, sagte er.
»Wozu?«
»Na, zum Hochzeitstag!«
»Gratuliere!«, sagte Vannoni. »Und jetzt geh zur Seite, Franco!«
»Unser Hochzeitstag ist am 27. Mai«, sagte Mamadou.
»Nein, der ist morgen«, sagte Franco. Er sah auf die Uhr. »Er beginnt in genau siebzehn Minuten. Und wie jedes Jahr feiert ihr in ihn hinein. Mit einem kleinen Fest und vor allem sehr lauter Musik, wenn man dieses Getrommel und das Bassgewummere Musik nennen will. Wahrscheinlich ist das bei deinem Stamm in Afrika so üblich. Da unten im Kongo oder woher auch immer du kommst.«
»Senegal«, sagte Mamadou.
»Das sage ich doch«, nuschelte Franco, »eine alte senegalesische Tradition. Und weil wir dich mögen, Mamadou, tolerieren wir in Montesecco das, obwohl die ganze Nachtüber ein Krach herrscht, dass man Mauern einreißen könnte, ohne etwas davon zu hören.«
Das war eine gute Idee. Zwar hörte Mamadou fast ausschließlich italienische Liedermacher und besaß weder CDs mit traditionellen Trommelrhythmen noch mit nervösem Township-Hiphop, doch dann mussten eben ein paar alte Rock ’n’ Roll-Nummern von Adriano Celentano herhalten. Es kam ja sowieso nur darauf an, den Lautstärkeregler hochzudrehen, bis die Boxen schepperten. Die Frauen riefen inzwischen beim Rest der Dorfbewohner an. Schließlich durfte sich niemand wegen der Ruhestörung beschweren, um der Polizei keinen Anlass zu verschaffen, gegen das improvisierte Fest einzuschreiten. Natürlich konnten Milena und Antonietta nicht umhin, die Hintergründe ihrer ungewöhnlichen Bitte zu erläutern. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
Obwohl Angelo und Elena Sgreccia schon im Bett gewesen waren, tauchten sie als Erste auf. Von Franco Marcantonis Haus mussten sie praktisch nur über die Gasse fallen und riskierten kaum, einer Patrouille in die Arme zu laufen. Bei den Garzones dauerte es länger. Zum einen bestand Ivan darauf, sein eigenes Präzisionswerkzeug mitzubringen, denn mit dem Kram anderer könne er nicht arbeiten. Zum anderen schlichen die beiden auf Umwegen her und legten mit angehaltenem Atem einen Zwischenstopp ein, um nicht entdeckt zu werden. Marisa Curzio kam nicht. Sie wünschte dem Unternehmen viel Erfolg, meinte aber, dass sie für Bauarbeiten nicht geschaffen sei und überdies noch wichtige Telefonanrufe erwarte. Dummerweise habe sie Catias Festnetznummer angegeben und könne deswegen das Haus nicht verlassen.
Überraschenderweise schien Donato nur auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, das Fernsehteam allein in seinem Schlafzimmer zurückzulassen. Er brach sofort auf, wurde aber leider unterwegs von der Polizei aufgegriffen. Doch er
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