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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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beschäftigt hatte. Die hilflosen, von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuche, wieder in eine Normalität zurückzufinden, die es nie mehr geben würde, weil sie zu gründlich zerstört worden war. Nicht nur von außen. Sie hatten selbst bereitwillig daran mitgearbeitet. Und niemand – das wusste Antonietta genau – war in der Lage, das Rad einfach zurückzudrehen.
    Adriano Celentano besang gerade »I ragazzi del juke box«, als der Durchstieg fertig wurde. Bei den Deutschen waren die Fensterläden geschlossen, doch sicherheitshalber schaltete man das Licht nicht ein. Im Schein der Taschenlampen war zu erkennen, dass beim Durchbrechen der Mauer ein Bild in Mitleidenschaft gezogen wordenwar. Der Pickel hatte die Leinwand von hinten durchbohrt und das Glas splittern lassen. Beim Sturz von der Wand war auch ein Stück des Rahmens abgeschlagen worden. Mit dem Gemälde konnte keiner der Dorfbewohner etwas anfangen. Es war abstrakt, in klecksigen Grün-und Blautönen gehalten und passte von der Stimmung, die es vermittelte, gut zur Raumtemperatur. Die Deutschen waren Ende September abgereist, und da seit Wintereinbruch niemand geheizt hatte, waren die Mauern völlig durchgekühlt. Milena stieg durch den Schrank zurück, um Mäntel zu holen.
    Das Wohnzimmer war bis auf eine Designersitzgruppe um einen niedrigen Aluminiumtisch und ein großes Bücherregal leer. Selbst auf den Fernseher, der sonst in keinem Haushalt Monteseccos fehlte, hatten die Deutschen verzichtet. Dass sie sich keinen leisten konnten, war unwahrscheinlich, denn erstens besaßen nur reiche Deutsche in Italien ein Ferienhaus und zweitens bewies die Hightech-Küche nebenan, dass man hier nicht sparen musste. Alle Flächen glänzten in Edelstahl, die Wand dahinter war unverputzt. Keine Ziegel, sondern eine sandgestrahlte alte Bruchsteinmauer.
    Angelo Sgreccia schätzte die Entfernung vom Kücheneck ab, deutete auf eine Stelle über der Spüle und sagte: »Hier!«
    Franco Marcantoni ließ den Strahl der Taschenlampe von links nach rechts wandern. Der Spalt zwischen Mauer und Arbeitsfläche war verkittet. Man konnte die Spüle natürlich mit Gewalt herausreißen, doch würden sie sich nicht leichter tun, wenn sie einfach den Kühlschrank wegrückten? Angelo Sgreccia brummte ablehnend. Auf der anderen Seite befand sich seine eigene Küche. Er wusste, wo die Nische eingelassen war, die er mit Regalbrettern zum Geschirrschrank ausgebaut hatte. Ein paar Teller würden wohl entzweigehen, aber dafür sparten sie sich circa dreißig Zentimeter Mauerstärke. Das gab den Ausschlag.Mit vereinten Kräften stemmten sie die Küchenzeile von der Wand und maßen dann genauer nach. Wenn man knapp neben dem Wasseranschluss durchbrach, müsste es passen.
    Mamadou und Vannoni, die bisher am härtesten gearbeitet hatten, konnten eine Pause vertragen. Vannoni wollte das zwar nicht zugeben, doch Angelo kümmerte sich nicht darum. Jetzt war er an der Reihe. Auch wenn der Weg etwas ungewöhnlich war, ging es immerhin zu ihm nach Hause. Endlich. Ihm kam es so vor, als hätten Elena und er seit Wochen nicht mehr am eigenen Tisch gesessen, dabei waren noch nicht einmal ganz drei Tage vergangen. Sie waren hinausgeworfen worden, kurz nachdem der erste Sturmversuch des NOCS-Kommandos gescheitert war. Nun kam es darauf an, vor dem zweiten wieder zurück zu sein. Angelo nahm den Vorschlaghammer auf, fixierte einen mittelgroßen Bruchstein in ungefähr sechzig Zentimetern Höhe und schlug mit aller Kraft zu.
    Um 3 Uhr 12 waren sie durch. Kein versteckter Scharfschütze nahm sie in Empfang, kein weiterer Patrouillenbesuch hatte sie aufgehalten, der Schaden am Geschirr der Sgreccias hielt sich in Grenzen, nur die Hits von Adriano Celentano würde so schnell keiner mehr auflegen. Während Vannoni sich an ein Fenster stellte, von dem aus ein großer Teil der Piazza einsehbar war, ging Milena zurück und schaltete den CD-Player aus. Die plötzliche Stille ließ Franco nur flüsternd fragen, ob irgendetwas zu sehen sei. Vannoni schüttelte den Kopf. Die anderen tappten vorsichtig durch die dunklen Räume zu den beiden Fenstern, die den besten Blick boten.
    Jetzt befanden sie sich an Ort und Stelle. Oder zumindest so nahe daran, wie es ohne entdeckt zu werden möglich war. Der Plan bestand darin, brüllend ins Freie zu stürzen, sobald sie das erste Anzeichen für einen Angriff auf Minhs Büro bemerkten. Sie mussten dem Geiselnehmer klar machen, dass sie in seinem Interesse handelten,

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