Die Augen der Mrs. Blynn
war sie genau wie Phyl, die sich auch so gut darauf verstanden hatte, einen in Krisensituationen zu trö-
sten und zu umsorgen … vorausgesetzt, es handelte sich 340
um eine unbedeutende Krise, so wie jetzt. Jeff kam langsam wieder zu sich. Die paar Schluck Scotch hatten ihm gutgetan und wirkten rasch.
»… Ihnen versichern, wie sehr ich Sie bewundere. Sie haben eine wichtige Aufgabe. Sind ein Mann von Welt. Sie haben etwas geleistet.«
Jeff brach in schallendes Gelächter aus.
»Lachen Sie nicht!« sagte das Mädchen ungehalten.
»Wie viele Männer können schon von sich sagen… und Sie sind noch nicht mal alt. Mein Dad ist auch ein wichtiger Mann, denke ich, nur daß er seinen Job bloß geerbt hat. Bestimmt war das bei Ihnen ganz anders. Und ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, daß Male es einmal sehr weit bringen wird. Dazu hat man's ihm immer viel zu leicht gemacht.«
Male, Malcolm war zweifellos der Verlobte. Ob Phyl seinen, Jeffs, Namen wohl je erwähnt hatte? Vielleicht ein-, zweimal? Aber nach nur ein-, zweimal würde das Mädchen sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern. Er hoffte, daß sie nichts von ihm wußte, seinen Namen nicht kannte.
Plötzlich stand sie dicht vor ihm, hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt, und im nächsten Augenblick schlang sie die Arme um seinen Hals.
»Haben Sie was dagegen«, flüsterte sie, »wenn ich Sie umarme?«
Auch Jeff hob die Hände, er zog das Mädchen an sich, schloß sekundenlang die Augen und spürte ihr Haar an seiner Stirn. Sie war genauso groß wie Phyl. Wie gut er sich erinnerte! Dann ließ er sie los und trat einen Schritt zurück.
341
»Sind Sie böse?« fragte sie. »Ich will Ihnen was gestehen – ganz ehrlich, wenn ich darf. Ich möchte mit Ihnen schlafen.« Die letzten Worte hörte er kaum, so leise waren sie.
Aber er hatte sie doch gehört.
»Haben Sie etwa Angst vor mir? Ich werd's keinem er-zählen. Und es hat auch bestimmt nichts mit dem Whisky zu tun. Ich fühle mich ganz nüchtern.« In ihren Augen –
Phyls Augen –, die ihn ruhig und unverwandt anschauten, lag ein Lächeln.
»Das ist es nicht.«
»Sondern?«
Warum eigentlich nicht, dachte Jeff auf einmal. Das Mädchen hatte ganz recht. Wer würde es je erfahren? Und selbst wenn Phyl dahinterkam – was wäre dabei? Falls er sich hätte rächen wollen, dann wäre das eine einmalige Gelegenheit. Aber Jeff verspürte keinerlei Rachegelüste.
»Und noch was«, fuhr das Mädchen mit unverändert sanfter Stimme fort, »ich möchte Sie gern wiedersehen.
Vielleicht sogar sehr oft. Sind Sie viel auf Reisen? Da könnte ich mich anschließen. Ich hätte große Lust, die Welt zu sehen.« Sie griff nach seiner rechten Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen.
Sein Verlangen war geweckt, aber zugleich kam ihm ein Gedanke, der ihm sagte, daß er die Verwirrung des Mädchens ausnützen würde (wie es, auch das war ihm klar, fast jeder andere Mann an seiner Stelle getan hätte), und weiter dachte er, daß er die Erinnerung an Phyl nicht verlieren wollte und daran, wie sie mit ihm zusammen-342
gewesen war, nicht so, wie dieses Mädchen sein würde, das zwar fast eine Kopie von ihr war, aber eben doch nicht Phyl. Nicht einmal ihr Gesicht war ganz das gleiche. Jeff lächelte und entzog ihr seine Hand. »Nun beruhigen Sie sich erst mal. Sie sind ja völlig außer sich.«
Sie war nicht gekränkt. »Sie sind vielleicht ein komischer Vogel«, sagte sie und musterte ihn kokett.
Jeff biß trotzdem nicht an. »Sie wissen doch, daß Sie Ihren Auserwählten heiraten werden.« Er zündete sich eine neue Zigarette an. »Warum lassen Sie sich da noch mit anderen Männern ein?«
»Glauben Sie etwa, ich würde so was öfter –« »Ach, kommen Sie mir doch nicht mit dem Scheiß!« Diesmal kapierte sie. »Jetzt reden Sie wie ein Amerikaner.«
»Ich bin Amerikaner, das hab ich Ihnen doch gesagt.« Er war wütend, und jetzt wußte er auch, warum, ganz genau sogar. Dieses Mädchen würde ihn zum Narren halten, würde ihn und vielleicht auch andere, jüngere Männer ins Elend stürzen – genau wie Phyl damals –, sofern sie dumm genug wären, sich in sie zu verlieben. Aber kaum, daß er so häßlich von ihr gedacht hatte, empfand er Mitleid für das Mädchen, als ob er seine Gedanken laut geäußert und sie damit verletzt hätte. »Das heißt nicht… daß ich Ihr Feind bin«, sagte er.
Obwohl es natürlich genau das bedeutete. »Warum lassen wir nicht alles so, wie es ist?
Weitere Kostenlose Bücher