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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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dann werde ich auch ein bißchen lesen. Es stört mich also nicht im geringsten, wenn Sie durch mein Zimmer ins Bad gehen.«
    »Danke. Vielleicht nachher.«
    334
    Jeff ging ins Schlafzimmer, aber diesmal ließ er die Tür angelehnt. Dann probierte er es noch einmal im Intercontinental. Wieder ohne Erfolg. Und jetzt war es schon nach drei. In welchem Hotel könnte er es noch versuchen? Im Hilton? Oder ob er den Flughafen anrufen und die An-kunftszeiten der Flüge aus Moskau erfragen sollte? Unvermittelt fiel ihm ein, daß er ja eine Flasche Scotch dabei-hatte. Sie stand in einer Plastiktüte neben seinem Koffer.
    Er machte sie auf und goß sich einen Fingerbreit davon ein.
    Dann klopfte er an die jetzt halb geöffnete Tür. »He, Sie…« Das Mädchen las noch immer. »Ich weiß nicht mal, wie Sie heißen.«
    »Eileen.«
    Eileen – und wie weiter? dachte er, doch dann fiel ihm ein, daß er das ja gar nicht wissen wollte. »Eileen… hätten Sie vielleicht Lust auf einen Schlummertrunk? Einen Scotch?«
    »O ja! Sehr gern.«
    Er goß etwas Whisky in ihr Mineralwasser, dann schob er ihr den Eiskübel hin. »Bitte sehr.«
    »Hat's geklappt mit Ihrem Anruf?« Sie fischte sich ein paar Eiswürfel aus dem Kübel.
    »Nein.« Jeff steckte sich eine Zigarette an.
    »Um was geht's denn? Oder ist das ein Geheimnis?«
    »Nur, wenn Sie von der Konkurrenz sind. Es handelt sich um den Bau von Ölfördertürmen im Weißen Meer.
    Meine Firma organisiert solche… solche Projekte. Und diesmal wollen wir unbedingt den Zuschlag… Ich kann dem Mann ein gutes Angebot machen«, setzte er hinzu. Es 335
    klang wie eine Rechtfertigung oder als hätte er laut gedacht. Langsam begann er im Zimmer auf und ab zu gehen. Er erinnerte sich, daß er genauso auch mit Phyl über seine Arbeit zu sprechen pflegte, nur hätte er es damals lächelnd getan, wäre über kurz oder lang zu ihr hingegangen und hätte sie geküßt, und dann…
    »Sie sind ein sehr ernster Mensch, nicht wahr?«
    Du hast überhaupt keine Zeit mehr für mich, klang es Jeff wieder in den Ohren. Das Mädchen hatte doch die gleiche Stimme wie Phyl, oder zumindest ihren Akzent, und das leichte Beben in den Obertönen, wie das Vibrato eines Streichinstruments, das hatte Phyl auch gehabt.
    »Ich hoffe, Sie schaffen es«, sagte das Mädchen. »Das Weiße Meer… Ich weiß grade mal, wo die Ostsee ist.«
    Jeff lächelte. »Das Weiße Meer liegt nördlich davon.
    Der größte Hafen dort heißt Archangelsk.« Er merkte, wie das Mädchen ihn ehrfürchtig ansah.
    Sie trank einen Schluck Whisky. »Ich wünschte, ich wäre auch wegen etwas so Sinnvollem… so Wichtigem hier.«
    Jeff sah auf seine Uhr und wünschte seinerseits, die Zeit würde rascher vergehen, damit es endlich acht oder neun wäre und der normale Geschäftsbetrieb anfinge. »Machen Sie in Paris Ferien?«
    »Ich bin hier, um zu heiraten.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja! Komisch, nicht wahr? Ich meine, weil ich doch jetzt ganz allein hier bin. Aber morgen kommt meine Mutter, und in ein paar Tagen wird auch mein … mein Verlobter 336
    hier sein. Dann fahren wir weiter nach Venedig … dort findet die Trauung statt. Na ja, ich bin nicht sicher, ob Mom mitkommt nach Venedig. Sie ist manchmal komisch.« Das Mädchen schien auf einmal verlegen und lächelte Jeff zaghaft an.
    Mom würde also hier in diesem Hotel aufkreuzen, dachte Jeff. Er drückte seine Zigarette aus, machte Anstal-ten, sich hinzusetzen, und blieb doch stehen. »Sie ist komisch, sagen Sie?«
    »Ach, sie findet mich komisch, und vielleicht hat sie ja recht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich heiraten möchte. Verstehen Sie?«
    Jeff vermutete hinter dem Bräutigam einen »netten«
    jungen Mann, mit dem ihre Familie sehr einverstanden war. Aber er war nicht daran interessiert, Näheres über ihn zu erfahren. »Wenn Sie sich nicht sicher sind, warum haben Sie sich dann überhaupt darauf eingelassen?«
    »Das ist es ja gerade! Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund… Meinen Sie, ich könnte noch einen kleinen Schluck Whisky kriegen?«
    »Soviel Sie mögen«, sagte Jeff und stellte die Flasche auf den Tisch vor dem Sofa. »Bedienen Sie sich.«
    Sie goß sich einen Fingerbreit ein. Aber die Flasche rutschte ab, und es floß ein gehöriger Schuß nach. Jeff reichte ihr die Vichy-Flasche.
    »Ich wünschte, ich wäre jemand anders. Ich wünschte, ich wäre gar nicht erst hergekommen. Er ist –« Sie stockte und starrte düster ins Leere. »Es liegt eigentlich weniger an

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