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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Ohne Komplikationen?«
    Jetzt hatte er sie offenbar verwirrt.
    Das Telefon klingelte, und Jeff atmete auf wie ein Boxer, der noch einmal am K.o. vorbeigekommen ist. Er nahm den Hörer ab.
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    »Allo?« sagte eine tiefe Stimme.
    »Hallo! Hier Cormack.«
    »Ha-ha! Hier Kyrogin. Wie spät ist es?«
    Kyrogin klang ein bißchen beschwipst. »Weiß nicht. So gegen vier. Mr. Kyrogin, ich würde mich sehr gern mit Ihnen treffen. Und danke, daß Sie mich zurückgerufen haben.
    Sie sind im Intercontinental?«
    »Ja, und ich bin sehr müde. Aber ich weiß… ich weiß, Sie sind ein amerikanischer Ingenieur.«
    »Stimmt. Hören Sie, kann ich morgen früh zu Ihnen ins Hotel kommen? Ich meine: heute morgen? Wenn Sie sich ausgeschlafen haben?«
    Schweigen. Tiefe Atemzüge. Zündete Kyrogin sich eine Zigarette an, oder dämmerte er weg?
    »Mr. Kyrogin … Semyon?« fragte Jeff.
    »Hier Semyon«, sagte Kyrogin.
    »Es geht um das Projekt im Weißen Meer. Sie wissen schon«, hakte Jeff nach. Falls um die Zeit noch jemand das Telefon abhört, dachte er, dann hat derjenige sich einen Orden verdient. »Haben Sie… haben Sie in der Sache schon etwas unternommen, oder sind wir noch im Gespräch?« Lange Pause. »Haben Sie heute abend bereits mit jemand anderem verhandelt?«
    »Heute abend war ich bei meiner französischen Freundin«, sagte Kyrogin. Jeff lächelte. »Verstehe.« Er ließ sich auf den Stuhl fallen, der hinter ihm stand. »Wenn das so ist, darf ich Sie dann anrufen – wenn Sie ausgeschlafen haben –so gegen zehn? Ja, ich werde mich gegen zehn Uhr 344
    melden. Ihren ersten Termin haben Sie mit mir, abgemacht, Mr. Kyrogin? Mit Jeff Cormack.«
    »Right you are«, sagte Kyrogin, als besänne er sich plötzlich auf seinen Englischunterricht. »Heute abend bin ich überhaupt nicht zum Arbeiten gekommen«, setzte er bedauernd hinzu.
    In Jeffs Ohren klang sein Geständnis wie Musik. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Semyon.
    Schlafen Sie gut. Gute Nacht.« Jeff legte auf und wandte sich freudestrahlend nach dem Mädchen um.
    Eileen lächelte so triumphierend zurück, als wäre sie an seinem Sieg beteiligt. »Sie werden als erster mit ihm ver-handeln.«
    »Ja, sieht so aus.« Jeff klatschte in die Hände und stand auf. »Ich genehmige mir noch einen Scotch.«
    »Fein. Darf ich mich anschließen?«
    Jeff schenkte zwei Whisky ein, und da die Vichy-Flasche leer war, füllte er das dritte Glas im Bad mit Lei-tungswasser, für den Fall, daß sie ihre Drinks verdünnen wollten. Er spürte die Begeisterung des Mädchens, ihre Freude an seinem Erfolg (oder dem ersten Schritt dazu), genau wie früher bei Phyl. Es war wie in alten Zeiten. Das Mädchen hatte ihm Glück gebracht, wie Phyl damals. Sie war es gewesen, die Jeff den Mut eingeflößt hatte, sich von seinem Boss zu trennen und eine eigene Firma zu gründen.
    Ihr verdankte er seinen kometenhaften Aufstieg, sie hatte ihm grenzenloses Selbstvertrauen geschenkt und alles Glück der Welt. Jeff wußte, daß er jetzt mit diesem Mädchen ins Bett gehen könnte, genau wie er in einer sol-345
    chen Situation und Stimmung oft mit Phyl geschlafen hatte. Er begehrte sie genauso wie Phyl damals, und er betrachtete das Mädchen jetzt mit anderen Augen, so als sähe er sie zum erstenmal.
    Sie begriff, stellte ihr Glas hin und kam in seine Arme, preßte sich an ihn. »Ja?« flüsterte sie.
    Die Antwort war immer noch nein. Aber diesmal konnte Jeff es nicht erklären, mochte nicht einmal nach Worten suchen, um es sich oder ihr verständlich zu machen.
    »Nein«, sagte er nur und machte sich von ihr los.
    Er holte seinen batteriebetriebenen Rasierapparat aus dem Schlafzimmer und rasierte sich. Als er sich noch die Zähne geputzt hatte, ging er wieder zu Eileen.
    »Ich geh jetzt ins Bett und laß mich um halb zehn wecken. Wollen Sie sich nicht auch hinlegen? Vielleicht sollten wir tauschen, und ich nehme das Sofa?«
    »Nein«, sagte sie schläfrig. Sie war also doch endlich müde geworden. Jeff machte keine Einwände, denn auch er war müde. »Darf ich Sie noch um einen Gefallen bitten?«
    »Klar.«
    »Erwähnen Sie Ihrer Mutter gegenüber meinen Namen nicht, niemals. Okay?«
    »Warum sollte ich? Sie haben ja nichts getan.«
    Er lächelte. Vielleicht würde sie seinen Namen sowieso nicht behalten.
    »Ist gut, Eileen, dann gute Nacht.« Er schloß die Tür hinter sich, rief beim Empfang an und bat, ihn um 9 Uhr 30
    zu wecken. Dann legte er sich ins Bett, seufzte tief und war 346
    im Nu fest

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